WER IST CESNUR? - Folge


Die Katholische Allianz erkennt ihre Schuld gegenüber Dr. Plinio an

Die KA ist stolz darauf, Plinios Schriften in ihrer Zeitschrift zu veröffentlichen:
Seine Schriften wurden oft im Ausland wiederveröffentlicht, insbesondere in den Zeitschriften der verschiedenen TFP-Zweige. In Italien erscheinen sie in der Monatsschrift Cristianità, dem offiziellen Organ der Katholischen Allianz, und in Quaderni di Cristianità, herausgegeben alle vier Monate. (In memoriam: Plinio Corrêa de Oliveira, Cristianità, Nov.-Dez. 1995, Seite 6)
Hier ist die vollständige Aussage über die Beziehung, wie sie in dem offiziellen KA-Organ erscheint:
Die Katholische Allianz, weder gegründet noch geleitet von Plinio Corrêa de Oliveira, befaßt sich in den Ausgaben, in denen dieses Thema behandelt wird, mit dem konterrevolutionären Magisterium, über das er sich zeit seines Lebens auf Erden äußerte [...]. Aus dem Testament des brasilianischen Meisters geht hervor, daß die Katholische Allianz allen Grund hat, wirkungsvollere Hilfe aus seinem ewigen Leben am Ende des Jahrhunderts, das auch das Ende eines Jahrtausends ist, zu erlangen -- im Hinblick auf ein neues Jahrhundert, das auch ein neues Jahrtausend ist. Schließlich hat sie mit ihm den tiefempfundenen Glauben gemein, daß das neue Jahrhundert und das neue Jahrtausend nur ein christliches Jahrhundert und Jahrtausend sein können, ein Jahrhundert und Jahrtausend der Maria; es hat auch die Hoffnung mit ihm gemein, genährt durch die Verheißungen von Fatima -- "Am Ende wird mein unbeflecktes Herz triumphieren" --, auf eine große und bedeutsame Bekehrung und damit auf eine Wiederherstellung der Christenheit ("In memoriam", Cristianità, Nr. 247-248, Nov.-Dez. 1995, Seite 7)
Der verwickelte Bezug auf das "Jahrtausend" offenbart in korrekter Kirchensprache Plinios Phantasien über das kommende Mittelalter.

Die Internet-Seiten von IDIS (dem eher politischen Ableger der KA) enthalten eine Seite, geschrieben von Giovanni Cantoni, dem "Regenten" der KA, gewidmet "Plinio Corrêa de Oliveira (1908-1995): ein Leben für Kirche und christliche Zivilisation":

Hervorstechend unter Corrêa de Oliveiras Werken war die Schaffung der geistigen Familie der TFP-Zweige und damit seine Vaterschaft über sie; sie sind die bürgerlichen Vereinigungen einer katholischen Inspiration, die schon allein vom Namen her an das grundlegende Merkmal sozialen Lebens erinnert, die Tradition und zwei gleich grundlegende Einrichtungen derselben: die Familie und den privaten Besitz; diese Organisationen gebrauchen friedliche Methoden, um diese Werte in der öffentlichen Meinung zu fördern und gegen die kulturelle Revolution zu kämpfen, die sie umstoßen möchte.
Die Welt ist doch klein: Die IDIS-Internetseite enthält auch einen Artikel von Introvigne mit dem ausschließlichen Zweck, die "Antisektenbewegung" anzugreifen.

Die "geistige Familie" der TFP ist in 26 Ländern tätig -- Brasilien, Argentinien, Bolivien, Kanada, Chile, Kolumbien, Ecuador, Spanien, Italien, Frankreich, Polen, Deutschland, den Philippinen, Südafrika, Indien, Neuseeland, Australien, Großbritannien, den USA, Peru, Portugal, Paraguay, Uruguay, Costa Rica und Venezuela; doch die "Familie" schließt viele verschiedene örtliche Zweige ein -- zum Beispiel gibt es in Italien neben der T.F.P. selbst die KA und das Centro Lepanto, jede davon mit vielen Untergruppen. Wie schon gesagt ist die KA keine Sekte, und es gelingt ihr daher, gute Beziehungen mit dem zu pflegen, was für andere Gruppen Verräter wären.


Als Ketzerei "mit Flüchen geschlagen" wurde

Im kommenden "Königreich Mariens", das diese eigentümliche Organisation unmittelbar bevorstehend glaubt, gibt es wenig Raum für "professionelle Untersuchungen" dessen, was Introvigne "Neue religiöse Bewegungen" nennt.

Gemäß Plinio muß "die aus der Konterrevolution hervorgegangene Ordnung" für ihre "ständige Sorge leuchten, das Böse bereits im Embryonalstadium und in seinen versteckten Formen zu entdecken und zu bekämpfen, es mit Flüchen schlagen und als schändlich brandmarken, es mit unbeugsamer Strenge bestrafen, insbesondere was jeglichen Versuch gegen die Orthodoxie und die Reinheit der Sitten betrifft; dies alles in Gegnerschaft zur liberalen Metphysik der Revolution und ihrer Tendenz, die Zügel loszulassen und das Böse zu schützen".

Diese Worte stammen aus: Plinio Corrêa de Oliveira, Revolution und Konterrevolution, Seite 126, italienische Ausgabe, annonciert natürlich in Cristianità. Wie Cristianità uns sagt, ist "Revoluçao e Contra-Revoluçao, geschrieben im Jahre 1959, das Grundgesetz der TFP, und es liefert uns die Grundlagen für deren Lehre und Handlungen". (Cristianità, Nov.-Dez. 1995, Seite 5). Zumindest wird im Gegensatz zu Introvigne, als der über "kontroverse Texte" der Neuen Akropolissprach, nicht behauptet, das Buch sei eine "Fälschung" der "Antisektenbewegungen".

In einer von der TFP in Frankreich betriebenen Schule . . .

. . . marschieren vor jeder Messe einige TFP-Kämpfer zum Altar der Kapelle, die Dr. Plinios Buch Revolution und Konterrevolution mit sich führen. Dieselbe Art von Zeremonie wurde auch in Brasilien praktiziert. Dem Buch schritt im allgemeinen ein Kämpfer voran, der einen Kelch auf einem Kissen trug, gefolgt von einem weiteren Kämpfer, der ein anderes Kissen mit einer Dornenkrone trug. (Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seite 63)
Ganz ähnliche Worte wie die in Cristianità erscheinen in Lepanto (Juni 1991), dem Organ der Schwestergruppe der KA:
Könige und Herrscher müssen sicherstellen, daß jeder das göttliche und evangelische Gesetz befolgen muß []. Die Behörden müssen sicherstellen, daß auch den Gesetzen der Kirche Gehorsam geleistet werden muß []. Das bedeutet, daß die Herrscher in ihren Staaten kein Laster mehr verabscheuen und verfolgen müssen als die Ketzerei []. Da die geistigen Arme der Kirche nicht immer genügen, um dies zu erreichen, müssen die Herrscher der Kirche darin beistehen, diesen Götzen aus dem Tempel Gottes hinauszutreiben und den Kopf und die Hände wie bei einem Drachen abzuschlagen (1. Könige 5:4), damit er nicht mehr sprechen, handeln und die Vorherrschaft ausüben kann.
Eines der Werke Plinios trägt den Titel Adel und ähnliche traditionelle Eliten in den Reden von Pius XII an die römischen Patrizier und den Adel. Dieser Aufsatz wurde natürlich in Cristianità veröffentlicht (in "Genesi, sviluppo e declino della 'nobiltà della terra'" in der Ausgabe der Cristianità vom Mai 1994, Seiten 15 ff., und in folgenden Ausgaben). Dieselbe Maiausgabe enthält auf der Seite 9 auch einen Aufsatz Introvignes, in dem das Opus Dei gegen die "Antisektenbewegung" in Schutz genommen wird, worin sich "oft in Einzelheiten die Verschwörung des Kampfes gegen die Religion in der gegenwärtigen Stunde" offenbart", wie es auf dem Umschlag heißt ("die gegenwärtige Stunde" ist ein Schlagwort von Doktor Plinio).

Das Wort "ähnliche" in Plinios Titel ist auf ein grundlegendes Problem mit Plinios brasilianischem Rittertum zurückzuführen (seine Anhänger nannten sich "Soldatenmönche" -- siehe Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seite 27): das Fehlen einer echten Aristokratie in einem Land, in dem die Eliten hauptsächlich die Funktion hatten, ihre schwarzen Sklaven Kaffee für das Frühstück der wahren Eliten in der ganzen Welt anbauen zu lassen. Das führt den Meister dazu, stolz zu behaupten, die alte brasilianische Gesellschaft sei eine richtiggehend feudale gewesen.

Giovanni Cantoni, wie wir gesehen haben, der Koautor -- mit Introvigne -- eines Buches gegen die "Antisektenbewegungen", stellte Plinios Aufsatz bei einem internationalen Kongreß in Rom am 30. Oktober 1993 vor: Ein Bild auf Seite 21 zeigt Cantoni, der irgendwie wie Sigmund Freud ausschaut, im Gespräch neben "Seiner kaiserlichen Hoheit", Erzherzog Martin von Österreich. Cantoni zitiert den typischen Ausdruck des Doktors -- wirtschaftliche Unterschiede "ermutigen und oftmals verpflichten die Leute, großzügig, großmütig und bereit zum Teilen zu sein".


Die T.F.P. stößt auf Probleme

Die TFP sieht sich in einen Kampf mit der Linken auf Leben und Tod verwickelt. Sie neigt folglich dazu, jeden Konflikt, in den sie gerät, einfach als gewalttätige Reaktion der "Revolution" gegen ihre heroischen Gegner anzusehen, eine Vorstellung, die Introvigne in die Fiktion der "Antisektenbewegung" übersetzt hat.

Tatsächlich jedoch kommt Gegnerschaft gegen die T.F.P. meistens von Eltern von T.F.P.-Mitgliedern, selbst gewöhnlich katholische Traditionalisten, und von konservativen und traditionalistischen katholischen Lagern.

Dafür gibt es mehrere Gründe. In erster Linie hält sich die TFP außerhalb Lateinamerikas gewöhnlich im Hintergrund oder operiert durch Organisationen im Vordergrund, was die Linke gewöhnlich nicht versteht. Skinheads wenden sich woandershin, wenn sie eine Gruppe wie die TFP finden, deren Schriften schwer zu lesen sind, die im allgemeinen unauffällig ist und die von einem Mann gegründet wurde, der während des Krieges mit den britischen Konservativen sympathisierte (so sehr, daß während des Falkland-Krieges eine pro-britische Haltung eingenommen wurde). Die TFP sah den Faschismus mit seinem optimistischen Staats- und Nationalkult als eine abweichende Form des "revolutionären Sozialismus" an.

Ein weiterer Grund ist, daß die TFP noch weit mehr rechts steht als jede andere Organisation auf dem politisch rechten Flügel. Was immer die Leute tief in ihrem Inneren denken mögen, ich kenne keine andere rechte Organisation, die öffentlich sagt, daß die Reichen besser sind als die Armen. Selbst der extremste katholische Traditionalist macht die moderne Welt für das "internationale Freimaurertum" oder die "Banken-Mafia" verantwortlich, wohingegen die TFP die Schuld ganz offen den rebellischen Armen zuschiebt, denen es das selbstgestrickte "Rechtssein" entgegenhält.

Der dritte Grund hängt mit der Lehre zusammen. Katholische Traditionalisten haben wegen angeblicher Abweichungen in der Lehre Probleme mit der "Amtskirche"; die TFP jedoch ist allein daran interessiert, die Agrarreform zu bekämpfen, und nicht an der Lehre, warum sie auch das 2. Vatikanische Konzil und die Liturgiereform akzeptieren konnte. Schließlich hat der Papst mehr Bataillone, als sie Monsignore Lefèbvre je hatte.

Auch Plinios Leugnung der zukünftigen Rolle der Priester -- und gegenwärtig der Ausschluß aller Priester von den geheimeren Aspekten der Gruppe -- führte Monsignore Castro de Mayer, jahrzehntelang Plinios Gönner unter den brasilianischen Bischöfen, zu der Feststellung:

Die TFP ist eine Ketzersekte, da sie -- allerdings nicht wörtlich oder schriftlich -- nach einem Grundsatz lebt und handelt, der die Grundlage allen wahren Christentums, d.h. der katholischen Kirche, untergräbt. (Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seite 6)
Das Ausmaß, in dem die TFP in der Lehre abweicht, läßt sich an dem folgenden Dokument sehen. Ich entschuldige mich bei katholischen Lesern dafür, daß ich es anführe, da es sich sehr wie die anzüglicheren Lieder des 19 Jahrhunderts anhört, die Antiklerikale oft sangen, nachdem sie zu tief ins Glas geschaut hatten. Diese "Hymne" meint es jedoch ernst: als eine Parodie auf eine der verehrtesten Hymnen auf die Jungfrau Maria in der katholischen Tradition ist sie Dona Lucilia gewidmet, der Mutter von Plinio Corrêa de Oliveira:

Frau Lucilia, bitte für uns

Mutter des Meisters Doktor Plinio, bitte für uns

Mutter des Doktors der Kirche, bitte für uns

Mutter unseres Vaters, bitte für uns

Mutter des Unaussprechlichen, bitte für uns

Mutter von uns allen, bitte für uns

Mutter der kommenden Jahrhunderte, bitte für uns

Mutter des axiologischen Grundsatzes, bitte für uns

Mutter des Temperamentes der Synthese, bitte für uns

Mutter aller Reinheit, bitte für uns

Mutter der Transsphäre, bitte für uns

Mutter der Ernsthaftigkeit, bitte für uns

Mutter der Konterrevolution, bitte für uns

Wiederherstellerin des Temperamentes, bitte für uns

Quelle des Lichts, bitte für uns

Erzeugerin der Unschuld, bitte für uns

Bewahrerin der Unschuld, bitte für uns

Trösterin des Herrn Doktor Plinio, bitte für uns

Mittlerin der großen Umkehr, bitte für uns

Mittlerin aller Gnaden, bitte für uns

Dämmerung des Königreiches der Maria, bitte für uns

Frau Lucilia des Lächelns, bitte für uns

Frau Lucilia der Blitze, bitte für uns

Schönste Blume von allen, bitte für uns

Unsere Zuflucht, bitte für uns

Unsere Trösterin, bitte für uns

Unsere Helferin in der Bagarre, bitte für uns

Grund unserer Ausdauer, bitte für uns

Gefäß der Logik, bitte für uns

Gefäß der Metaphysik, bitte für uns

Märtyrerin der Einsamkeit, bitte für uns

Königin des gelassenen Leidens, bitte für uns

Königin der Lieblichkeit, bitte für uns

Königin der Gelassenheit, bitte für uns

Frau Lucilia, unsere Mutter und Frau, hilf uns

Frau Lucilia, unsere größte Mittlerin vor der Jungfrau, hilf uns

(Zitiert in Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seiten 70-71)

Der außergewöhnlichste Anspruch hier ist auch der obskurste, "Mutter des axiologischen Grundsatzes": damit ist ein Grundsatz gemeint, der kein vorhergehendes Prinzip benötigt, mit anderen Worten Gott selbst.

Diese Hymne wurde öffentliches Gut, als sie von Prof. Orlando Fedeli, seit über 30 Jahren Mitglied der TFP, enthüllt wurde, der Mons. Antonio de Castro Mayer um seine Meinung bat, ob man sie als orthodox ansehen könne. Man kann erkennen, wo die Wurzeln von Introvignes Abneigung gegen "Abtrünnige" liegen. Die TFP stritt die Darstellung nicht ab; sie verlagerte nur die Schuld auf übereifrige junge Anhänger, und behauptete, die Hymne sei vollkommen orthodox (Carlo Alberto Agnoli und Paolo Taufer, TFP: la maschera e il volto, Ed. Adveniat, S.Giustina di Rimini, s.d., Seiten 17 ff.). Die Schuld den Jungen zu geben, ist eine althergebrachte Praktik bei bestimmten Arten von Organisationen. Sie behauptete auch, die Hymne werde schon seit langem nicht mehr benutzt. Die gegenwärtige offizielle Version des Themas wird von Roberto de Mattei in seiner Hagiographie von Doktor Plinio angegeben (Roberto de Mattei, Il crociato del secolo XX: Plinio Corrêa de Oliveira, Piemme, Casale Monferrato, 1996, Seite 249):

Es stimmt, daß einige Mitarbeiter der Vereinigung eine Zeitlang eine Litanei mit Anrufungen der Frau Lucilia verwendeten, komponiert von zwei Heranwachsenden Ende 1977. Diese Litanei wurde von Prof. Corrêa de Oliveira verboten, als er davon erfuhr.
Es ist merkwürdig, aber diese Hymne von brasilianischen Heranwachsenden scheint sich über den Ozean verbreitet zu haben, da sie mit Sicherheit in den frühen 80er Jahren in Frankreich verwendet wurde und ein ehemaliges KA-Mitglied mir kürzlich erzählte, daß einige Zweigorganisationen der TFP sie noch Anfang der 90er Jahre in Italien verwendeten. Wenn nichts anderes hilft, wird TFP-Sympathisanten, die diese Hymne entdecken, gesagt, "in Lateinamerika gingen die Uhren eben anders": das war zufällig auch die Lieblingskriegslist in meiner Gruppe, der Neuen Akropolis, die auch aus Lateinamerika kam.

Wenn Plinios Mutter die Jungfrau Lucilia ist, dann muß ihr Nachkomme etwas Besonderes sein. Wie besonders, ist einer außergewöhnlichen Episode zu entnehmen, die man wohl kaum übereifrigen Heranwachsenden zuschieben kann, da sie auf einer Aussage Plinios basiert, wiederholt in vielen seiner Werke, und -- wie gewöhnlich -- voller Stolz in Cristianità erzählt. ("In memoriam: Plinio Corrêa de Oliveira", November-Dezember 1995, Seite 6):

Am 1. Februar 1975 bot er sich angesichts der zunehmenden komplizierter werden Lage in der katholischen Kirche und damit der katholischen Welt während einer Zusammenkunft der brasilianischen TFP selbst als Sühnopfer an. Sechsunddreißig Stunden später wurde er bei einem Autounfall schwer verletzt; die Folgen davon blieben bis zu seinem Tod.
Mehr als ihr politischer Charakter war es dieses in hohem Maße suspekte theologische Wesen der Gruppe, das zu ihrer Verurteilung durch den Rat der brasilianischen Bischöfe führte.
Im Verlaufe der 23. Jahresversammlung nahm der Rat der brasilianischen Bischöfe eine Note bezüglich der "Brasilianischen Gesellschaft für die Verteidigung von Tradition, Familie und Besitz" an, die Katholiken den Rat gab, sich nicht der gerade genannten Gesellschaft anzuschließen []. Ihr esoterischer Charakter, ihr religiöser Fanatismus, der Personenkult um den Gründer und seine Mutter, der Mißbrauch des Namens der Jungfrau Maria [] können von der Kirche absolut nicht gutgeheißen werden. (Osservatore Romano, 7. Juli 1985, Seite 12, Nr. 408, wöchentliche spanische Ausgabe zitiert in Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Titelblatt)
Der Begriff "Sekte" mit seiner doppelten Bedeutung von "abweichendem religiösen Verhalten im Vergleich zu einer institutionellen Religion" und einer "geschlossenen totalitären Gruppe" ist sicher mehrdeutig. Aber diese Verurteilung der TFP offenbart, warum die Organisation gewiß von einigen als "Sekte" im ersteren Sinne des Wortes angesehen wurde, und warum diese Organisation 1985 daher ein besonderes Interesse an dem Thema "Sekte" hatte. Das war genau dann, als auch Introvigne begann, sich mit der Sache zu befassen.

Ehemalige TFP-Mitglieder haben geschrieben, daß Plinio selbst sich dieser Assoziation sehr wohl bewußt war. In bezug auf die Beschuldigung, eine Sekte zu sein, erzählte er ihnen immer wieder:

Das muß nicht als Überraschung kommen; seit ihr der TFP angehört, werdet ihr selbst von Eltern und Freunden behandelt, als gehörtet ihr zu einer Sekte! Es wird schrecklich ja tatsächlich hart sein, treu zu bleiben. (Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seite 38)

Introvignes Schuld gegenüber Plinio Corrêa de Oliveira

Wir haben bereits gesehen, wie Introvigne in der Vergangenheit nur selten einen Artikel schrieb, ohne aus Plinio Corrêas Revolution und Konterrevolution zu zitieren.

Heute erwähnt er den "Doktor" selten öffentlich. Plinios Einfluß jedoch zeigt sich noch immer in vielerlei Weise. Beispielsweise gibt Introvigne in einer Fußnote in einem Artikel ("Che cos'è il millenarismo", in Sette e religioni, Jan.-März 1991, Seite 40) plötzlich bittere Polemik gegen andere recht orthodoxe katholische Gelehrte von sich, die Zweifel an einem außergewöhnlich fanatischen und wenig bekannten französischen Prediger geäußert hatten, den heiligen Louis Maria Grignion de Montfort (1673-1716). Dieser französische Priester ist ganz zufällig -- wie wir gesehen haben -- der Lieblingsheilige von Plinio, der sein gesamtes Buch Revolution und Konterrevolution auf eine ziemlich zweifelhafte Auslegung seiner apokalyptischen Visionen gründete. Wie Plinio fromm sagt:

Zum Schluß seiner Predigten sammelten die Zuhörer oft anzügliche oder sinnenfreudige Gegenstände und gottlose Bücher ein, häuften sie auf dem Stadtplatz auf und setzten sie in Brand. Während die Feuer brannten, sprach unser rastloser Missionar noch einmal und stiftete sie zur Nüchternheit an. (Aus dem Vorwort zu Revolution und Konterrevolution, zitiert natürlich in Cristianità, November-Dezember 1995, Seite 10)
Ein anderes Beispiel: Obwohl Introvigne im allgemeinen recht deutlich schreibt, werden seine Schriften über die Sonnentempler den meisten Menschen wahrscheinlich unverständlich erscheinen. Abgesehen von der Tatsache, daß er ganz offensichtlich versucht, jede andere Sekte vor Schaden zu bewahren, worüber redet er eigentlich? Etwas über die Tempelritter und die Zweite Revolution (mit Großbuchstaben), die die eigenen Kinder frißt Tatsächlich ist der Text für alle Leser vollkommen verständlich, die auch Plinios Schriften gelesen haben, aber für niemanden sonst. Natürlich gibt es Hunderte von Sekten (und andere ganz unschuldige Gruppen) mit eben derselben Tempelritter-Mythologie und dem homöopathischen Mix wie bei den Sonnentemplern -- erst wenn sie eine schlechte Presse haben, versucht Introvigne zu zeigen, daß sie irgendwie aus der Französischen Revolution hervorgegangen sind.

Dies führt Introvigne dazu, die Sonnentempler wegzuerklären, während er Moon, Scientology und dergleichen bewahren kann:

Die Tragödie der Sonnentempler stellt jetzt -- zusammen mit Elementen des Totschlags, auch in Jonestown gegenwärtig -- den Selbstmord einer anderen Revolution, der Zweiten Revolution, dar, markiert durch einen Relativismus in seiner "reinen" aufklärerischen Form, noch nicht in seiner "reformierten" und aggressiven sozialkommunistischen Form. Beide Tragödien finden auch innerhalb des kulturellen Rahmens der Vierten Revolution statt, und das hilft vielleicht, kleine Gruppen zu jagen, die die Zweite und Dritte Revolution in einer panischen und klösterlichen Weise ausleben. Die unheilvollen Blitze der elektronischen "Freudenfeuer" der Sonnentempler erleuchten so einen "jahrhundertealten" Weg und stellen die Apokalypse dar, nicht der Religion -- und in diesem Falle auch nicht der "Neuen Religionen" -- sondern, in Begriffen, die sowohl großartig wie diabolisch sind, des Relativismus. ("La tragedia del Tempio Solare: il suicidio di una Rivoluzione", in Cristianità, November 1994, Seite 16.)
Wir sehen hier, woher die KA den Begriff "sozialkommunistisch" hat; die Zweite Revolution meint die Aufklärung und die Französische Revolution, die Vierte die neuzeitliche "Dekadenz". Gemäß Introvignes verwickelten Erklärungen war die Sonnentemplergruppe die Schuld Voltaires, Jonestown war die Schuld von Karl Marx.

Waco andererseits war ein "christlicher Holocaust", wie Introvigne einen Artikel in Cristianitàvon Juni-Juli 1993 betitelte.

Introvignes Erklärung zu Jim Jones, einem rechtmäßig ordinierten protestantischen Pastor, der eine typisch amerikanische Sekte gründete, ehe er seine Anhänger in ihr Verderben in Jonestown führte, ist viel einfacher: sie waren Kommunisten, und Kommunisten tun nun einmal so etwas. Introvigne, der behauptet, diese Begebenheit sei die "letztendliche Schlußfolgerung eines marxistischen Weges, der zu seinen logischsten Konsequenzen geführt habe", gewesen, spricht sogar von "sowjetischen Beratern" in Jonestown -- es stellt sich die Frage, ob sie das waren, um die eigenen Genossen zu töten ober um selbst Suizid zu verüben.

Jonestown jedoch war der Selbstmord einer Revolution, die wir -- um die Worte von Plinio Corrêa de Oliveira zu gebrauchen -- die Dritte Revolution nennen können, die sozialkommunistische Revolution. ("La tragedia del Tempio Solare: il suicidio di una Rivoluzione", in Cristianità, November 1994, Seite 16.)
Sein früherer Artikel "Il suicidio della Guyana fra mito e storia" (Cristianità, Nr 162, Oktober 1988) ist typisch für diese Vorgehensweise. Voller bibliographischer Fußnoten, sieht er recht überzeugend aus, bis man seinen eigentlichen Inhalt untersucht.

Sein erster Untertitel ist recht unverblümt: "Die 'Antisektenbewegung' und der Mythos des Selbstmordkultes". Er ist ganz klar mehr daran interessiert, dem persönlichen Feind einen Schlag zu versetzen, als Jonestown zu analysieren.

Zuerst beschreibt er die "Antisektenbewegung" mit denselben Begriffen, die in jedem anderen seiner Werke über Sekten wiederkehren: die Antisektenbewegung glaube, die "Gehirnwäsche bei Sekten" [sic] habe zu dem Massenselbstmord in Guyana geführt. Dann fährt er fort und zeigt, daß die Gruppe von Reverend Jones ja eigentlich aus Kommunisten bestand.

Wahr oder nicht, dies beweist überhaupt nichts. Introvigne ist sich vollkommen darüber im klaren, daß die "Antisektenbewegung", soweit man bei einer solchen gemischten Vielfalt von Organisationen überhaupt von einem kohärenten Vorstellungskreis sprechen kann, glaubt, daß Sekten religiös, kommerziell, therapeutisch oder politisch sein können; daß die Handlungsweise zählt, und nicht das Glaubensbekenntnis. Introvigne ist sich darüber sehr wohl im klaren, da er an anderem Ort diese Vorstellung kritisiert. Tatsächlich schreibt eine führende Sektenkritikerin, Janja Lalich, auf der Grundlage ihrer Erfahrungen in einer marxistisch-feministischen Gruppe. Die Frage, die Sektenkritiker zu Jonestown stellen, ist jedoch eine völlig andere: Kann ein geschlossene Gruppe, was auch immer ihre Ideologie ist, eine solche konditionierende Atmosphäre schaffen, die dann ihre Anhänger dazu führt, Massenselbstmord zu begehen, oder war der Massenselbstmord einfach die Summe von nahezu tausend gleichzeitig getroffenen freien Entscheidungen von Männern, Frauen und Kindern?

Introvignes Schlußfolgerung ist keine Antwort auf diese entscheidende Frage:

Der Fehler, den die Antisektenbewegung im Jahre 1978 vielleicht noch unfreiwillig beging, wird 1988 zu einem vorsätzlich begangenen Fehler -- nach zehn Jahren der Forschung und durch ganze Bibliotheken von Dokumenten für jeden bewiesen, der nachschauen will --, daß die Sonnentempler keine religiöse Gruppe waren, sondern eine sozialkommunistische Bewegung. ("Il suicidio della Guyana fra mito e storia", in Cristianità, Nr. 162, Oktober 1988, Seite 11)

Die Katholische Allianz erkennt ihre Schuld gegenüber Dr. Plinio an

Die KA ist stolz darauf, Plinios Schriften in ihrer Zeitschrift zu veröffentlichen:
Seine Schriften wurden oft im Ausland wiederveröffentlicht, insbesondere in den Zeitschriften der verschiedenen TFP-Zweige. In Italien erscheinen sie in der Monatsschrift Cristianità, dem offiziellen Organ der Katholischen Allianz, und in Quaderni di Cristianità, herausgegeben alle vier Monate. (In memoriam: Plinio Corrêa de Oliveira, Cristianità, Nov.-Dez. 1995, Seite 6)
Hier ist die vollständige Aussage über die Beziehung, wie sie in dem offiziellen KA-Organ erscheint:
Die Katholische Allianz, weder gegründet noch geleitet von Plinio Corrêa de Oliveira, befaßt sich in den Ausgaben, in denen dieses Thema behandelt wird, mit dem konterrevolutionären Magisterium, über das er sich zeit seines Lebens auf Erden äußerte [...]. Aus dem Testament des brasilianischen Meisters geht hervor, daß die Katholische Allianz allen Grund hat, wirkungsvollere Hilfe aus seinem ewigen Leben am Ende des Jahrhunderts, das auch das Ende eines Jahrtausends ist, zu erlangen -- im Hinblick auf ein neues Jahrhundert, das auch ein neues Jahrtausend ist. Schließlich hat sie mit ihm den tiefempfundenen Glauben gemein, daß das neue Jahrhundert und das neue Jahrtausend nur ein christliches Jahrhundert und Jahrtausend sein können, ein Jahrhundert und Jahrtausend der Maria; es hat auch die Hoffnung mit ihm gemein, genährt durch die Verheißungen von Fatima -- "Am Ende wird mein unbeflecktes Herz triumphieren" --, auf eine große und bedeutsame Bekehrung und damit auf eine Wiederherstellung der Christenheit ("In memoriam", Cristianità, Nr. 247-248, Nov.-Dez. 1995, Seite 7)
Der verwickelte Bezug auf das "Jahrtausend" offenbart in korrekter Kirchensprache Plinios Phantasien über das kommende Mittelalter.

Die Internet-Seiten von IDIS (dem eher politischen Ableger der KA) enthalten eine Seite, geschrieben von Giovanni Cantoni, dem "Regenten" der KA, gewidmet "Plinio Corrêa de Oliveira (1908-1995): ein Leben für Kirche und christliche Zivilisation":

Hervorstechend unter Corrêa de Oliveiras Werken war die Schaffung der geistigen Familie der TFP-Zweige und damit seine Vaterschaft über sie; sie sind die bürgerlichen Vereinigungen einer katholischen Inspiration, die schon allein vom Namen her an das grundlegende Merkmal sozialen Lebens erinnert, die Tradition und zwei gleich grundlegende Einrichtungen derselben: die Familie und den privaten Besitz; diese Organisationen gebrauchen friedliche Methoden, um diese Werte in der öffentlichen Meinung zu fördern und gegen die kulturelle Revolution zu kämpfen, die sie umstoßen möchte.
Die Welt ist doch klein: Die IDIS-Internetseite enthält auch einen Artikel von Introvigne mit dem ausschließlichen Zweck, die "Antisektenbewegung" anzugreifen.

Die "geistige Familie" der TFP ist in 26 Ländern tätig -- Brasilien, Argentinien, Bolivien, Kanada, Chile, Kolumbien, Ecuador, Spanien, Italien, Frankreich, Polen, Deutschland, den Philippinen, Südafrika, Indien, Neuseeland, Australien, Großbritannien, den USA, Peru, Portugal, Paraguay, Uruguay, Costa Rica und Venezuela; doch die "Familie" schließt viele verschiedene örtliche Zweige ein -- zum Beispiel gibt es in Italien neben der T.F.P. selbst die KA und das Centro Lepanto, jede davon mit vielen Untergruppen. Wie schon gesagt ist die KA keine Sekte, und es gelingt ihr daher, gute Beziehungen mit dem zu pflegen, was für andere Gruppen Verräter wären.


Als Ketzerei "mit Flüchen geschlagen" wurde

Im kommenden "Königreich Mariens", das diese eigentümliche Organisation unmittelbar bevorstehend glaubt, gibt es wenig Raum für "professionelle Untersuchungen" dessen, was Introvigne "Neue religiöse Bewegungen" nennt.

Gemäß Plinio muß "die aus der Konterrevolution hervorgegangene Ordnung" für ihre "ständige Sorge leuchten, das Böse bereits im Embryonalstadium und in seinen versteckten Formen zu entdecken und zu bekämpfen, es mit Flüchen schlagen und als schändlich brandmarken, es mit unbeugsamer Strenge bestrafen, insbesondere was jeglichen Versuch gegen die Orthodoxie und die Reinheit der Sitten betrifft; dies alles in Gegnerschaft zur liberalen Metphysik der Revolution und ihrer Tendenz, die Zügel loszulassen und das Böse zu schützen".

Diese Worte stammen aus: Plinio Corrêa de Oliveira, Revolution und Konterrevolution, Seite 126, italienische Ausgabe, annonciert natürlich in Cristianità. Wie Cristianità uns sagt, ist "Revoluçao e Contra-Revoluçao, geschrieben im Jahre 1959, das Grundgesetz der TFP, und es liefert uns die Grundlagen für deren Lehre und Handlungen". (Cristianità, Nov.-Dez. 1995, Seite 5). Zumindest wird im Gegensatz zu Introvigne, als der über "kontroverse Texte" der Neuen Akropolissprach, nicht behauptet, das Buch sei eine "Fälschung" der "Antisektenbewegungen".

In einer von der TFP in Frankreich betriebenen Schule . . .

. . . marschieren vor jeder Messe einige TFP-Kämpfer zum Altar der Kapelle, die Dr. Plinios Buch Revolution und Konterrevolution mit sich führen. Dieselbe Art von Zeremonie wurde auch in Brasilien praktiziert. Dem Buch schritt im allgemeinen ein Kämpfer voran, der einen Kelch auf einem Kissen trug, gefolgt von einem weiteren Kämpfer, der ein anderes Kissen mit einer Dornenkrone trug. (Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seite 63)
Ganz ähnliche Worte wie die in Cristianità erscheinen in Lepanto (Juni 1991), dem Organ der Schwestergruppe der KA:
Könige und Herrscher müssen sicherstellen, daß jeder das göttliche und evangelische Gesetz befolgen muß []. Die Behörden müssen sicherstellen, daß auch den Gesetzen der Kirche Gehorsam geleistet werden muß []. Das bedeutet, daß die Herrscher in ihren Staaten kein Laster mehr verabscheuen und verfolgen müssen als die Ketzerei []. Da die geistigen Arme der Kirche nicht immer genügen, um dies zu erreichen, müssen die Herrscher der Kirche darin beistehen, diesen Götzen aus dem Tempel Gottes hinauszutreiben und den Kopf und die Hände wie bei einem Drachen abzuschlagen (1. Könige 5:4), damit er nicht mehr sprechen, handeln und die Vorherrschaft ausüben kann.
Eines der Werke Plinios trägt den Titel Adel und ähnliche traditionelle Eliten in den Reden von Pius XII an die römischen Patrizier und den Adel. Dieser Aufsatz wurde natürlich in Cristianità veröffentlicht (in "Genesi, sviluppo e declino della 'nobiltà della terra'" in der Ausgabe der Cristianità vom Mai 1994, Seiten 15 ff., und in folgenden Ausgaben). Dieselbe Maiausgabe enthält auf der Seite 9 auch einen Aufsatz Introvignes, in dem das Opus Dei gegen die "Antisektenbewegung" in Schutz genommen wird, worin sich "oft in Einzelheiten die Verschwörung des Kampfes gegen die Religion in der gegenwärtigen Stunde" offenbart", wie es auf dem Umschlag heißt ("die gegenwärtige Stunde" ist ein Schlagwort von Doktor Plinio).

Das Wort "ähnliche" in Plinios Titel ist auf ein grundlegendes Problem mit Plinios brasilianischem Rittertum zurückzuführen (seine Anhänger nannten sich "Soldatenmönche" -- siehe Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seite 27): das Fehlen einer echten Aristokratie in einem Land, in dem die Eliten hauptsächlich die Funktion hatten, ihre schwarzen Sklaven Kaffee für das Frühstück der wahren Eliten in der ganzen Welt anbauen zu lassen. Das führt den Meister dazu, stolz zu behaupten, die alte brasilianische Gesellschaft sei eine richtiggehend feudale gewesen.

Giovanni Cantoni, wie wir gesehen haben, der Koautor -- mit Introvigne -- eines Buches gegen die "Antisektenbewegungen", stellte Plinios Aufsatz bei einem internationalen Kongreß in Rom am 30. Oktober 1993 vor: Ein Bild auf Seite 21 zeigt Cantoni, der irgendwie wie Sigmund Freud ausschaut, im Gespräch neben "Seiner kaiserlichen Hoheit", Erzherzog Martin von Österreich. Cantoni zitiert den typischen Ausdruck des Doktors -- wirtschaftliche Unterschiede "ermutigen und oftmals verpflichten die Leute, großzügig, großmütig und bereit zum Teilen zu sein".


Die T.F.P. stößt auf Probleme

Die TFP sieht sich in einen Kampf mit der Linken auf Leben und Tod verwickelt. Sie neigt folglich dazu, jeden Konflikt, in den sie gerät, einfach als gewalttätige Reaktion der "Revolution" gegen ihre heroischen Gegner anzusehen, eine Vorstellung, die Introvigne in die Fiktion der "Antisektenbewegung" übersetzt hat.

Tatsächlich jedoch kommt Gegnerschaft gegen die T.F.P. meistens von Eltern von T.F.P.-Mitgliedern, selbst gewöhnlich katholische Traditionalisten, und von konservativen und traditionalistischen katholischen Lagern.

Dafür gibt es mehrere Gründe. In erster Linie hält sich die TFP außerhalb Lateinamerikas gewöhnlich im Hintergrund oder operiert durch Organisationen im Vordergrund, was die Linke gewöhnlich nicht versteht. Skinheads wenden sich woandershin, wenn sie eine Gruppe wie die TFP finden, deren Schriften schwer zu lesen sind, die im allgemeinen unauffällig ist und die von einem Mann gegründet wurde, der während des Krieges mit den britischen Konservativen sympathisierte (so sehr, daß während des Falkland-Krieges eine pro-britische Haltung eingenommen wurde). Die TFP sah den Faschismus mit seinem optimistischen Staats- und Nationalkult als eine abweichende Form des "revolutionären Sozialismus" an.

Ein weiterer Grund ist, daß die TFP noch weit mehr rechts steht als jede andere Organisation auf dem politisch rechten Flügel. Was immer die Leute tief in ihrem Inneren denken mögen, ich kenne keine andere rechte Organisation, die öffentlich sagt, daß die Reichen besser sind als die Armen. Selbst der extremste katholische Traditionalist macht die moderne Welt für das "internationale Freimaurertum" oder die "Banken-Mafia" verantwortlich, wohingegen die TFP die Schuld ganz offen den rebellischen Armen zuschiebt, denen es das selbstgestrickte "Rechtssein" entgegenhält.

Der dritte Grund hängt mit der Lehre zusammen. Katholische Traditionalisten haben wegen angeblicher Abweichungen in der Lehre Probleme mit der "Amtskirche"; die TFP jedoch ist allein daran interessiert, die Agrarreform zu bekämpfen, und nicht an der Lehre, warum sie auch das 2. Vatikanische Konzil und die Liturgiereform akzeptieren konnte. Schließlich hat der Papst mehr Bataillone, als sie Monsignore Lefèbvre je hatte.

Auch Plinios Leugnung der zukünftigen Rolle der Priester -- und gegenwärtig der Ausschluß aller Priester von den geheimeren Aspekten der Gruppe -- führte Monsignore Castro de Mayer, jahrzehntelang Plinios Gönner unter den brasilianischen Bischöfen, zu der Feststellung:

Die TFP ist eine Ketzersekte, da sie -- allerdings nicht wörtlich oder schriftlich -- nach einem Grundsatz lebt und handelt, der die Grundlage allen wahren Christentums, d.h. der katholischen Kirche, untergräbt. (Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seite 6)
Das Ausmaß, in dem die TFP in der Lehre abweicht, läßt sich an dem folgenden Dokument sehen. Ich entschuldige mich bei katholischen Lesern dafür, daß ich es anführe, da es sich sehr wie die anzüglicheren Lieder des 19 Jahrhunderts anhört, die Antiklerikale oft sangen, nachdem sie zu tief ins Glas geschaut hatten. Diese "Hymne" meint es jedoch ernst: als eine Parodie auf eine der verehrtesten Hymnen auf die Jungfrau Maria in der katholischen Tradition ist sie Dona Lucilia gewidmet, der Mutter von Plinio Corrêa de Oliveira:

Frau Lucilia, bitte für uns

Mutter des Meisters Doktor Plinio, bitte für uns

Mutter des Doktors der Kirche, bitte für uns

Mutter unseres Vaters, bitte für uns

Mutter des Unaussprechlichen, bitte für uns

Mutter von uns allen, bitte für uns

Mutter der kommenden Jahrhunderte, bitte für uns

Mutter des axiologischen Grundsatzes, bitte für uns

Mutter des Temperamentes der Synthese, bitte für uns

Mutter aller Reinheit, bitte für uns

Mutter der Transsphäre, bitte für uns

Mutter der Ernsthaftigkeit, bitte für uns

Mutter der Konterrevolution, bitte für uns

Wiederherstellerin des Temperamentes, bitte für uns

Quelle des Lichts, bitte für uns

Erzeugerin der Unschuld, bitte für uns

Bewahrerin der Unschuld, bitte für uns

Trösterin des Herrn Doktor Plinio, bitte für uns

Mittlerin der großen Umkehr, bitte für uns

Mittlerin aller Gnaden, bitte für uns

Dämmerung des Königreiches der Maria, bitte für uns

Frau Lucilia des Lächelns, bitte für uns

Frau Lucilia der Blitze, bitte für uns

Schönste Blume von allen, bitte für uns

Unsere Zuflucht, bitte für uns

Unsere Trösterin, bitte für uns

Unsere Helferin in der Bagarre, bitte für uns

Grund unserer Ausdauer, bitte für uns

Gefäß der Logik, bitte für uns

Gefäß der Metaphysik, bitte für uns

Märtyrerin der Einsamkeit, bitte für uns

Königin des gelassenen Leidens, bitte für uns

Königin der Lieblichkeit, bitte für uns

Königin der Gelassenheit, bitte für uns

Frau Lucilia, unsere Mutter und Frau, hilf uns

Frau Lucilia, unsere größte Mittlerin vor der Jungfrau, hilf uns

(Zitiert in Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seiten 70-71)

Der außergewöhnlichste Anspruch hier ist auch der obskurste, "Mutter des axiologischen Grundsatzes": damit ist ein Grundsatz gemeint, der kein vorhergehendes Prinzip benötigt, mit anderen Worten Gott selbst.

Diese Hymne wurde öffentliches Gut, als sie von Prof. Orlando Fedeli, seit über 30 Jahren Mitglied der TFP, enthüllt wurde, der Mons. Antonio de Castro Mayer um seine Meinung bat, ob man sie als orthodox ansehen könne. Man kann erkennen, wo die Wurzeln von Introvignes Abneigung gegen "Abtrünnige" liegen. Die TFP stritt die Darstellung nicht ab; sie verlagerte nur die Schuld auf übereifrige junge Anhänger, und behauptete, die Hymne sei vollkommen orthodox (Carlo Alberto Agnoli und Paolo Taufer, TFP: la maschera e il volto, Ed. Adveniat, S.Giustina di Rimini, s.d., Seiten 17 ff.). Die Schuld den Jungen zu geben, ist eine althergebrachte Praktik bei bestimmten Arten von Organisationen. Sie behauptete auch, die Hymne werde schon seit langem nicht mehr benutzt. Die gegenwärtige offizielle Version des Themas wird von Roberto de Mattei in seiner Hagiographie von Doktor Plinio angegeben (Roberto de Mattei, Il crociato del secolo XX: Plinio Corrêa de Oliveira, Piemme, Casale Monferrato, 1996, Seite 249):

Es stimmt, daß einige Mitarbeiter der Vereinigung eine Zeitlang eine Litanei mit Anrufungen der Frau Lucilia verwendeten, komponiert von zwei Heranwachsenden Ende 1977. Diese Litanei wurde von Prof. Corrêa de Oliveira verboten, als er davon erfuhr.
Es ist merkwürdig, aber diese Hymne von brasilianischen Heranwachsenden scheint sich über den Ozean verbreitet zu haben, da sie mit Sicherheit in den frühen 80er Jahren in Frankreich verwendet wurde und ein ehemaliges KA-Mitglied mir kürzlich erzählte, daß einige Zweigorganisationen der TFP sie noch Anfang der 90er Jahre in Italien verwendeten. Wenn nichts anderes hilft, wird TFP-Sympathisanten, die diese Hymne entdecken, gesagt, "in Lateinamerika gingen die Uhren eben anders": das war zufällig auch die Lieblingskriegslist in meiner Gruppe, der Neuen Akropolis, die auch aus Lateinamerika kam.

Wenn Plinios Mutter die Jungfrau Lucilia ist, dann muß ihr Nachkomme etwas Besonderes sein. Wie besonders, ist einer außergewöhnlichen Episode zu entnehmen, die man wohl kaum übereifrigen Heranwachsenden zuschieben kann, da sie auf einer Aussage Plinios basiert, wiederholt in vielen seiner Werke, und -- wie gewöhnlich -- voller Stolz in Cristianità erzählt. ("In memoriam: Plinio Corrêa de Oliveira", November-Dezember 1995, Seite 6):

Am 1. Februar 1975 bot er sich angesichts der zunehmenden komplizierter werden Lage in der katholischen Kirche und damit der katholischen Welt während einer Zusammenkunft der brasilianischen TFP selbst als Sühnopfer an. Sechsunddreißig Stunden später wurde er bei einem Autounfall schwer verletzt; die Folgen davon blieben bis zu seinem Tod.
Mehr als ihr politischer Charakter war es dieses in hohem Maße suspekte theologische Wesen der Gruppe, das zu ihrer Verurteilung durch den Rat der brasilianischen Bischöfe führte.
Im Verlaufe der 23. Jahresversammlung nahm der Rat der brasilianischen Bischöfe eine Note bezüglich der "Brasilianischen Gesellschaft für die Verteidigung von Tradition, Familie und Besitz" an, die Katholiken den Rat gab, sich nicht der gerade genannten Gesellschaft anzuschließen []. Ihr esoterischer Charakter, ihr religiöser Fanatismus, der Personenkult um den Gründer und seine Mutter, der Mißbrauch des Namens der Jungfrau Maria [] können von der Kirche absolut nicht gutgeheißen werden. (Osservatore Romano, 7. Juli 1985, Seite 12, Nr. 408, wöchentliche spanische Ausgabe zitiert in Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Titelblatt)
Der Begriff "Sekte" mit seiner doppelten Bedeutung von "abweichendem religiösen Verhalten im Vergleich zu einer institutionellen Religion" und einer "geschlossenen totalitären Gruppe" ist sicher mehrdeutig. Aber diese Verurteilung der TFP offenbart, warum die Organisation gewiß von einigen als "Sekte" im ersteren Sinne des Wortes angesehen wurde, und warum diese Organisation 1985 daher ein besonderes Interesse an dem Thema "Sekte" hatte. Das war genau dann, als auch Introvigne begann, sich mit der Sache zu befassen.

Ehemalige TFP-Mitglieder haben geschrieben, daß Plinio selbst sich dieser Assoziation sehr wohl bewußt war. In bezug auf die Beschuldigung, eine Sekte zu sein, erzählte er ihnen immer wieder:

Das muß nicht als Überraschung kommen; seit ihr der TFP angehört, werdet ihr selbst von Eltern und Freunden behandelt, als gehörtet ihr zu einer Sekte! Es wird schrecklich ja tatsächlich hart sein, treu zu bleiben. (Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?, Rimini 1996, Seite 38)

Introvignes Schuld gegenüber Plinio Corrêa de Oliveira

Wir haben bereits gesehen, wie Introvigne in der Vergangenheit nur selten einen Artikel schrieb, ohne aus Plinio Corrêas Revolution und Konterrevolution zu zitieren.

Heute erwähnt er den "Doktor" selten öffentlich. Plinios Einfluß jedoch zeigt sich noch immer in vielerlei Weise. Beispielsweise gibt Introvigne in einer Fußnote in einem Artikel ("Che cos'è il millenarismo", in Sette e religioni, Jan.-März 1991, Seite 40) plötzlich bittere Polemik gegen andere recht orthodoxe katholische Gelehrte von sich, die Zweifel an einem außergewöhnlich fanatischen und wenig bekannten französischen Prediger geäußert hatten, den heiligen Louis Maria Grignion de Montfort (1673-1716). Dieser französische Priester ist ganz zufällig -- wie wir gesehen haben -- der Lieblingsheilige von Plinio, der sein gesamtes Buch Revolution und Konterrevolution auf eine ziemlich zweifelhafte Auslegung seiner apokalyptischen Visionen gründete. Wie Plinio fromm sagt:

Zum Schluß seiner Predigten sammelten die Zuhörer oft anzügliche oder sinnenfreudige Gegenstände und gottlose Bücher ein, häuften sie auf dem Stadtplatz auf und setzten sie in Brand. Während die Feuer brannten, sprach unser rastloser Missionar noch einmal und stiftete sie zur Nüchternheit an. (Aus dem Vorwort zu Revolution und Konterrevolution, zitiert natürlich in Cristianità, November-Dezember 1995, Seite 10)
Ein anderes Beispiel: Obwohl Introvigne im allgemeinen recht deutlich schreibt, werden seine Schriften über die Sonnentempler den meisten Menschen wahrscheinlich unverständlich erscheinen. Abgesehen von der Tatsache, daß er ganz offensichtlich versucht, jede andere Sekte vor Schaden zu bewahren, worüber redet er eigentlich? Etwas über die Tempelritter und die Zweite Revolution (mit Großbuchstaben), die die eigenen Kinder frißt Tatsächlich ist der Text für alle Leser vollkommen verständlich, die auch Plinios Schriften gelesen haben, aber für niemanden sonst. Natürlich gibt es Hunderte von Sekten (und andere ganz unschuldige Gruppen) mit eben derselben Tempelritter-Mythologie und dem homöopathischen Mix wie bei den Sonnentemplern -- erst wenn sie eine schlechte Presse haben, versucht Introvigne zu zeigen, daß sie irgendwie aus der Französischen Revolution hervorgegangen sind.

Dies führt Introvigne dazu, die Sonnentempler wegzuerklären, während er Moon, Scientology und dergleichen bewahren kann:

Die Tragödie der Sonnentempler stellt jetzt -- zusammen mit Elementen des Totschlags, auch in Jonestown gegenwärtig -- den Selbstmord einer anderen Revolution, der Zweiten Revolution, dar, markiert durch einen Relativismus in seiner "reinen" aufklärerischen Form, noch nicht in seiner "reformierten" und aggressiven sozialkommunistischen Form. Beide Tragödien finden auch innerhalb des kulturellen Rahmens der Vierten Revolution statt, und das hilft vielleicht, kleine Gruppen zu jagen, die die Zweite und Dritte Revolution in einer panischen und klösterlichen Weise ausleben. Die unheilvollen Blitze der elektronischen "Freudenfeuer" der Sonnentempler erleuchten so einen "jahrhundertealten" Weg und stellen die Apokalypse dar, nicht der Religion -- und in diesem Falle auch nicht der "Neuen Religionen" -- sondern, in Begriffen, die sowohl großartig wie diabolisch sind, des Relativismus. ("La tragedia del Tempio Solare: il suicidio di una Rivoluzione", in Cristianità, November 1994, Seite 16.)
Wir sehen hier, woher die KA den Begriff "sozialkommunistisch" hat; die Zweite Revolution meint die Aufklärung und die Französische Revolution, die Vierte die neuzeitliche "Dekadenz". Gemäß Introvignes verwickelten Erklärungen war die Sonnentemplergruppe die Schuld Voltaires, Jonestown war die Schuld von Karl Marx.

Waco andererseits war ein "christlicher Holocaust", wie Introvigne einen Artikel in Cristianitàvon Juni-Juli 1993 betitelte.

Introvignes Erklärung zu Jim Jones, einem rechtmäßig ordinierten protestantischen Pastor, der eine typisch amerikanische Sekte gründete, ehe er seine Anhänger in ihr Verderben in Jonestown führte, ist viel einfacher: sie waren Kommunisten, und Kommunisten tun nun einmal so etwas. Introvigne, der behauptet, diese Begebenheit sei die "letztendliche Schlußfolgerung eines marxistischen Weges, der zu seinen logischsten Konsequenzen geführt habe", gewesen, spricht sogar von "sowjetischen Beratern" in Jonestown -- es stellt sich die Frage, ob sie das waren, um die eigenen Genossen zu töten ober um selbst Suizid zu verüben.

Jonestown jedoch war der Selbstmord einer Revolution, die wir -- um die Worte von Plinio Corrêa de Oliveira zu gebrauchen -- die Dritte Revolution nennen können, die sozialkommunistische Revolution. ("La tragedia del Tempio Solare: il suicidio di una Rivoluzione", in Cristianità, November 1994, Seite 16.)
Sein früherer Artikel "Il suicidio della Guyana fra mito e storia" (Cristianità, Nr 162, Oktober 1988) ist typisch für diese Vorgehensweise. Voller bibliographischer Fußnoten, sieht er recht überzeugend aus, bis man seinen eigentlichen Inhalt untersucht.

Sein erster Untertitel ist recht unverblümt: "Die 'Antisektenbewegung' und der Mythos des Selbstmordkultes". Er ist ganz klar mehr daran interessiert, dem persönlichen Feind einen Schlag zu versetzen, als Jonestown zu analysieren.

Zuerst beschreibt er die "Antisektenbewegung" mit denselben Begriffen, die in jedem anderen seiner Werke über Sekten wiederkehren: die Antisektenbewegung glaube, die "Gehirnwäsche bei Sekten" [sic] habe zu dem Massenselbstmord in Guyana geführt. Dann fährt er fort und zeigt, daß die Gruppe von Reverend Jones ja eigentlich aus Kommunisten bestand.

Wahr oder nicht, dies beweist überhaupt nichts. Introvigne ist sich vollkommen darüber im klaren, daß die "Antisektenbewegung", soweit man bei einer solchen gemischten Vielfalt von Organisationen überhaupt von einem kohärenten Vorstellungskreis sprechen kann, glaubt, daß Sekten religiös, kommerziell, therapeutisch oder politisch sein können; daß die Handlungsweise zählt, und nicht das Glaubensbekenntnis. Introvigne ist sich darüber sehr wohl im klaren, da er an anderem Ort diese Vorstellung kritisiert. Tatsächlich schreibt eine führende Sektenkritikerin, Janja Lalich, auf der Grundlage ihrer Erfahrungen in einer marxistisch-feministischen Gruppe. Die Frage, die Sektenkritiker zu Jonestown stellen, ist jedoch eine völlig andere: Kann ein geschlossene Gruppe, was auch immer ihre Ideologie ist, eine solche konditionierende Atmosphäre schaffen, die dann ihre Anhänger dazu führt, Massenselbstmord zu begehen, oder war der Massenselbstmord einfach die Summe von nahezu tausend gleichzeitig getroffenen freien Entscheidungen von Männern, Frauen und Kindern?

Introvignes Schlußfolgerung ist keine Antwort auf diese entscheidende Frage:

Der Fehler, den die Antisektenbewegung im Jahre 1978 vielleicht noch unfreiwillig beging, wird 1988 zu einem vorsätzlich begangenen Fehler -- nach zehn Jahren der Forschung und durch ganze Bibliotheken von Dokumenten für jeden bewiesen, der nachschauen will --, daß die Sonnentempler keine religiöse Gruppe waren, sondern eine sozialkommunistische Bewegung. ("Il suicidio della Guyana fra mito e storia", in Cristianità, Nr. 162, Oktober 1988, Seite 11)

Wie erst die Inquisition und dann Sekten entschuldigt werden

In Anbetracht der Vorliebe Plinios für die Inquisition mag es überraschend erscheinen, daß Introvigne ein Manifest zur Verteidigung von Scientology unterzeichnete, statt die multinationale US-Gruppe mit dem "Zeichen der Schändlichkeit" zu brandmarken ("Schändlichkeit" ist im kanonischen Recht auch eines der Merkmale für "Abtrünnige"): Im August 1996 gab die internationale Konferenz von CESNUR ein Statement heraus, in dem die Versuche Deutschlands, sich die Operationen des Konzerns einmal näher anzusehen, als "Zeichen von extrem gefährlichem Fanatismus" und als "Haßkampagne" bezeichnet wurden. Es ist kaum überraschend, daß der CESNUR-Appell jede Nennung der Gründe vermied, warum Scientology in Deutschland Probleme hatte: Nach dem ehemaligen Scientology-Führer Gunther Träger wurden Mieter aus ihren Wohnungen geworfen, die Wohnungen wurden von der Organisation aufgekauft und zum Verkauf bereitgestellt. Keiner dieser Gründe hatte auch nur im Entferntesten etwas mit "religiösem Fanatismus" zu tun. "Haß" ist natürlich das typische leere Schlagwort der "politisch Korrekten", um die Beweggründe ihrer Kritiker zu beschreiben; es ist im Grunde genommen bedeutungslos.

Der CESNUR-Appell bedeutet auch, daß diese angeblich gelehrte Organisation sich die lächerliche Gleichsetzung der Maßnahmen in Deutschland mit "religiöser Verfolgung" und/oder der "Wiederkehr der Nazis" durch die PR-Abteilung von Scientology zu eigen macht. Was auch immer der Fehler Deutschland ist, "religiöser Fanatismus" in diesem Land hörte im Jahre 1648 auf, am Ende des Dreißigjährigen Krieges, langer bevor damit in irgendeinem anderen Land Schluß war: Die Juden wurden von Hitler wegen pseudoökonomischer und pseudorassistischer Gründe verfolgt, nicht, weil sie nicht an die Dreieinigkeit glaubten, und katholische und protestantische Nazis übten vereint Druck auf protestantische Holländer und katholische Polen aus. Doch Introvigne ist sich sicher dessen bewußt -- oder sollte es sein --, daß der Grund, warum der deutsche Staat Scientology mit einiger Besorgnis betrachtet, darin liegt, daß nahezu alle Deutsche heute glauben, daß jede totalitäre Organisation im Keim erstickt werden sollte: Scientology hat dieselben Probleme und dieselben Feinde wie die Neonazis, und aus denselben Gründen. Obwohl in Deutschland noch nie ein Gesetz gegen Scientology angewendet worden ist, schlagen Scientology-Kritiker vor, die Organisation sollte den sehr strengen Gesetzen unterworfen werden, die in Deutschland zur Verteidigung der Demokratie vor dem leisesten Verdacht auf eine totalitäre Organisation bestehen. Die Vorstellung, keine Scientologen in sensiblen Behördenstellen arbeiten zu haben, gründet sich auf das berühmte "Berufsverbot", aufgrund dessen Tausende von Lehrern und anderen Beamten, die verdächtigt werden, Neonazis oder Kommunisten zu sein (das letztere eine Ideologie, die in Deutschlang eng mit dem ehemals totalitären Osten in Verbindung gebracht wird), ihre Arbeitsstellen verloren haben. Introvigne mag einer solchen antitotalitären Gesetzgebung feindlich gegenüberstehen, aber wenn er es tut, warum sagt er es dann nicht?

Introvignes Liberalismus gilt jedoch nur gegenüber Scientology. Die KA wägt ihre Worte heute sorgfältig ab, wenn auch nicht die Bedeutung dahinter; doch die TFP-Gefährten in Italien haben lautstarke Kampagnen gegen ausländische Einwanderer gestartet; sie griffen sogar nicht-politische Forschungen über das präkolumbische Amerika an und versuchten, eine seichte Komödie in einem Gemeindesaal zu stoppen, in der freundliche Witze über Priester gemacht wurden. Andere Höhepunkte sind: die ausdrückliche Verteidigung des europäischen Kolonialismus und Angriffe gegen den Islam (um den Jahrestag der Kreuzzüge zu begehen, widmete die Zeitschrift der KA Ausgabe für Ausgabe ihr Titelblatt Episoden aus den Kreuzzügen). Und was Introvignes Lieblingsthema, religiöse Toleranz, angeht, so veröffentlichte Cristianità (Januar-Februar 1993, Seiten 5 ff.) ein langes Interview mit einem argentinischen Professor, der über die Zwangsbekehrungen der amerikanischen Ureinwohner folgendes zu sagen hatte:

Die präkolumbische Welt hatte zwar eine dunkle Ahnung von dem unbekannten Gott und eine rätselhafte Erwartung von etwas, das kommen würde, aber sie war gekennzeichnet durch Korruption, Magie und Götzendienst. Mit der Ankunft der Missionare wurde diese Situation durch Entmythologisierung zuerst bereinigt, dann durch Bekehrung umgewandelt in eine "neue Welt", die durch Christus erlöst und von der Sklaverei der Sünde befreit wurde.
Nichts wird über andere Formen der Sklaverei gesagt. Die Ausgabe von März 1992 bildet diesen Titel an hervorspringender Stelle ab: "Christopher Kolumbus, Genueser Admiral und 'Verteidiger des Glaubens'". Der umstrittenen spanischen Königin Isabella ist ein weiterer Titel gewidmet: "Die Dienerin Gottes: Isabella die Katholische, Vorbild für eine neue Evangelisation". (Cristianità, April 1992). Es wird uns gesagt, daß diese Frau, die vielleicht ein Vorbild für die Evangelisation, aber nicht für religiöse Freiheit ist, "eine der außerordentlichsten Figuren in der Geschichte [sei], und ihr Leben [scheine] ein wichtiges Kapitel in Gottes Plan für die Welt und die Kirche zu sein".

Scientology geht für die KA vielleicht in Ordnung, aber katholische liberale Theologie wird mit dem ganzen Repertoire an altem katholischem Brandmarken als Sekte behandelt. In "Anmerkungen zwischen Revolution und Konterrevolution" fragt die Führungsfigur Giovanni Cantoni, ob eine bestimmte progressive brasilianische Theologie eine "neo-gnostische und eine neo-wiedertäuferische" Theologie" sei? (Cristianità, November 1992, Seite 25).

Ein Lieblingsthema ist der Kampf gegen die Rechte von Homosexuellen. Am 27. September 1994 empfing der stellvertretende Vorsitzende des europäischen Parlamentes eine Delegation des "Komitees zur Verteidigung der natürlichen und christlichen Ordnung der Familie", eine T.F.P.- Organisation, die 136.000 Unterschriften gegen gleiche Rechte für Homosexuelle gesammelt hatte. Unter den Mitgliedern der Delegation waren Guillaume Babinet, Direktor der T.F.P. France; Marquis Luigi Coda Nunziante, Präsident der Famiglia Domani (eine andere T.F.P.-Organisation -- Coda Nunziante machte vor einiger Zeit Schlagzeilen, als er vor einem Gericht ein Bittgesuch gegen die italienische Gesellschaftspersönlichkeit Marina Ripa di Meana einreichte, die nackt für ein Plakat gegen Pelzmäntel posiert hatte); Professor Roberto de Mattei, Präsident des Centro Culturale Lepanto; Leopold Werner, Vertreter der T.F.P.-Covadonga, Spanien; und mehrere italienische Parlamentsmitglieder (Controrivoluzione, Nr. 37-40, April-Nov. 1995, Florenz, Italien).

Die TFP-Zweigorganisation Centro Lepanto machte am 23. Juni 1995 in Italien Schlagzeilen, als sie Irene Pivetti, die Sprecherin des italienischen Parlamentes überredete, einer besonderen Zeremonie beizuwohnen, in der Gottes Vergebung erbeten wurde, weil die Stadt Rom den Bau einer Moschee zugelassen hatte.

Das alles ist nichts Neues. So berichtet zum Beispiel eine Note eines argentinischen Freundes, wie die T.F.P. General Juan Carlos Onganías Coup im Jahre 1966 unterstützte und im Jahre 1973 einen gewaltigen Feldzug organisierte, in dem die Rückkehr von Juan Domingo Peron angegriffen wurde. Neben den massiven antikommunistischen Kampagnen im amerikanischen Stil sollte man die Beziehungen zu Augusto Pinochet erwähnen, den sie zuerst unterstützte, dann aber beschuldigte, er schenke den Armen zuviel Beachtung ("TFP: la nouvelle inquisition", in Golias, Nr. 51, Nov.- Dez. 1996, Seite 64). Diese Kritik hielt Pinochet nicht davon ab, Ettore Riesle, den Gründer des chilenischen Zweiges der T.F.P., im April 1974 als Botschafter der Militärjunta beim Heiligen Stuhl zu ernennen (Giovanni Tassani, La cultura politica della destra cattolica, Coines Edizioni, Rom, 1976, Seite 211, Fußnote 86).

Das italienische Fernsehen zeigte kürzlich Dokumentaraufnahmen aus der Allende-Zeit in Chile, darunter eine antikommunistische Demonstration der TFP: es war amüsant zu sehen, daß die jungen Demonstranten alle gleich angezogen waren wie auf der Hintergrundzeichnung auf den Seiten der Cristianità, die die Aktivitäten von CESNUR schildern, und auch dieselbe Art von großen pseudo-mittelalterlichen Fahnen trugen.

Derselbe Stil war auch in einer italienischen Fernsehsendung während einer Demonstration der Rechten Ende 1996 oder Anfang 1997 zu sehen: jeder Demonstrant der KA-Schwesterorganisation Centro Lepanto trug eine Anstecknadel mit dem sprungbereiten Löwen der T.F.P., und alle hielten ein langes Spruchband -- "PRIVATER BESITZ - EIN GÖTTLICHES RECHT". Natürlich glücklich für die, die Besitz haben. Die TFP betrachtet Besitz in der Tat als Voraussetzung für ein anständiges christliches Leben. Das ist auch der Grund für das "Besitz" in ihrem Namen. Wie Roberto de Mattei, der Führer des Centro Lepanto, es formuliert, braucht die Bewahrung katholischer Tradition eine Umgebung, die Familie; und "die Familie braucht, um zu überleben und zu wachsen, ein materielles Substrat, das ihr Leben und ihre Freiheit sichert" (De Mattei, Il crociato del secolo XX: Plinio Corrêa de Oliveira, Piemme, Casale Monferrato, 1996, Seite 203), und dieses Substrat ist natürlich der Besitz. Das heißt jedoch nicht, daß allen Menschen Besitz gegeben werden sollte; es bedeutet vielmehr, daß alle jene ihn bewahren, die ihn bereits haben. Das ist eine Art und Weise, die Erlösung zu beschränken, die so manchem Theologen zu denken geben sollte.

Dies ist eine Abhandlung über Introvigne, nicht über Politik. Solange Menschen klar und ehrlich überzeugte Meinungen vertreten, mag ich diesen Meinungen wohl widersprechen, aber nicht den Personen, die sie äußern. Ich möchte nur betonen, daß keine der Feststellungen und Aktionen, die ich zuvor erwähnt habe und die die Grundmerkmale der Welt von Introvigne bilden, etwas mit "wissenschaftlicher Untersuchung", "Soziologie" oder "religiöser Toleranz" zu tun hat.


T.F.P. wird beschuldigt, eine Sekte mit "Gehirnwäsche" zu sein

Wir haben gesehen, wie die T.F.P. sich bereits dem Verdacht aussetzte, aus religiöser Sicht eine "Sekte" zu sein. Doch unter diesen Verdacht fiel sie auch aus soziologischer Sicht.

Die T.F.P. stieß zuerst in Frankreich auf erhebliche Probleme, wo die Organisation im Jahre 1967 die "Ecole Saint-Benoît" gründete, eine Privatschule in Châteauroux, auf die ausschließlich die Kinder katholischer Traditionalisten gingen und die von einer Gruppe von TFP-Kämpfern betrieben wurde. Die TFP versuchte zuerst, die unerwarteten Änderungen im Verhalten mehrerer Schüler wegzuerklären, indem sie sie als "Einzelfälle" bezeichnete. Bei einer Zusammenkunft im Jahre 1979 entdeckten die Eltern, der Kaplan und die Lehrer alle, daß diese Fälle alles andere als Einzelfälle waren, und baten die TFP, die Schule nicht weiter zu betreiben.

Die Eltern, die Lehrer und der Kaplan faßten zusammen mit mehreren Schülern ein faszinierendes kleines Buch über die Organisation und ihre Methoden ab (neu aufgelegt durch katholische Traditionalisten als Tradizione Famiglia Proprietà: associazione cattolica o setta millenarista?).

Wie bei vielen ähnlichen Gruppen entdeckten sie, daß die TFP ihre Kämpfer Schritt um Schritt lehrt, nicht zu denken: "Ihr denkt zu viel: das ist eine Versuchung des Teufels", ist die Äußerung, die ein brasilianischer Direktor gegenüber einem zweifelnden Franzosen machte; typischerweise wird "zuviel denken" ideologisch René Descartes angelastet.

Heimlichtuerei, Kontrolle der Umgebung, ständige Reisen nach Brasilien sind die Merkmale der Indoktrination, die die Organisation praktiziert.

Gemäß den Eltern und Priestern in Frankreich ist ein weiteres interessantes Merkmal die ständige Herabsetzung aller anderer katholischen Traditionalisten, die generell der "weißen Ketzerei" beschuldigt werden, womit "revolutionäres Verhalten" gemeint ist (schwarze Ketzerei meint "revolutionäres Denken").

Im vorurteilsbehafteten Jargon der Gruppe werden T.F.P.-Kämpfer gelehrt, von ihren Eltern als "F.M.R." zu sprechen, Fontes minha revolução, den "Quellen meiner Revolution"; Eltern können jedoch für ihre revolutionären Tendenzen durch Finanzierung der Bewegung Sühne leisten.

Es ist typisch, zu sehen, wie Kämpfer, wenn "Angriffe seitens der Familie" stattfinden, sich weigern, mit ihrer Familie zu argumentieren; sie lächeln und sagen: "Ich wußte, daß das kommt"(Tradizione Famiglia Proprietà: associazione cattolica o setta millenarista, Seiten 22-23)
Junge Mitglieder lehrt man, ihre Eltern zu manipulieren -- wie Doktor Plinio zu sagen pflegte: "Das Spiel, das ihr mit dieser oder jener Person treiben müßt, ist dieses: ..." (Tradizione Famiglia Proprietà: associazione cattolica o setta millenarista, Seite 23).

Das entscheidende Jahr, die Kehrtwendung der Katholischen Allianz (und Introvignes) von den Angriffen auf die "Jehovistensekte" auf die ebenso bissigen Angriffe auf die "Antiektenbewegung" zu verstehen, ist 1985.

Die TFP wurde 1984 in Venezuela verboten. Was uns interessiert, sind nicht die Fakten selbst, sondern die Art, in der die T.F.P. sie ansah. Der unmittelbare (und ziemlich unwahrscheinliche) Grund war, daß die Organisation sich angeblich verschworen hatte, ein Attentat auf den Papst zu verüben. Dies ereignete sich, kurz nachdem ein ehemaliges TFP-Mitglied (aber sicherlich ein Einzelgänger) versucht hatte, den Papst in Fatima in Portugal umzubringen.

Doch in typischem Szenario wurden viele besorgte Eltern von TFP-Mitgliedern in die Sache verwickelt, und die TFP wurde in der Hauptsache beschuldigt, "eine Sekte zu sein".

Die Episode wird so etwa Mitte 1985 im Bollettino delle 15 TFP, Jahrgang 1, Nr. 5 geschildert. Der Titel ist bedeutsam: "Sozialistische Wut schlägt gegen TFP-Widerstand".

Wie in derartigen Fällen üblich, wird für die ganze Episode nicht etwa die Asociación Civil Resistencia, die örtliche T.F.P.-Organisation, sondern die Regierung verantwortlich gemacht: Angeblich war es der T.F.P.-Feldzug gegen ein von der herrschenden Partei verabschiedetes sozialistisches Gesetz, das die Rache der Regierung gegen die Gruppe hervorrief. Was gleichfalls typisch ist: Wir erfahren nicht, was die Beschuldigungen der Regierung gegen die T.F.P. waren, sondern nur die Verteidigung der T.F.P. gegen eine "Reihe von Verfolgungen", "eine gewalttätige Verfolgung" und "die dichteste und totalste Propagandakampagne, die "man sich vorstellen kann". Was von besonderem Interesse ist:

Eine Minderheit von Eltern der Mitarbeiter des Widerstandes, verängstigt durch die Verwirrung oder getrieben von ideologischen Beweggründen, nahm an der verleumderischen Kampagne gegen die eigenen Kinder teil. (Bollettino, Seite 11)
Nach dem Verbot der Organisation verließen die erwachsenen Mitglieder -- viele Mitglieder waren minderjährig -- Venezuela mit ihren Familien.

In dem Dokument des parlamentarischen Komitees, das das Verbot der TFP forderte, hieß es:

Es ist eine Sekte (und keine religiöse Gruppe) [es una secta y no un culto] ganz weit rechts, die sich gegen die Familien wendet, den Charakter junger Menschen verformt, die Mitglieder zu Fanatikern macht und bei ihnen Gehirnwäsche betreibt. (Private Information eines spanischen Freundes)
Eine Aussage, die sich mit dem deckt, was die TFP selbst gesagt hat:
Nach diesen Verleumdern soll der Wiederstand also eine "Sekte" sein,' die als solche "Gehirnwäsche" betreibt. (Bollettino, Seite 12)

Die Reaktion der T.F.P.: eine "Antisektenverschwörung" wird erfunden

Wie wir sehen können, lag die TFP als "Sekte" in zweierlei Sinn unter Beschuß: als eine kleine, häretische religiöse Gruppe; und als geschlossene Gruppe, die Gedankenkontrolle betrieb. Mit Problemen von Theologen, Eltern und ehemaligen Mitgliedern in etwa derselben Weise wie, sagen wir einmal, Scientology.

Viele ehemalige Mitglieder der Organisation hatten damit begonnen, kontroverse Aspekte aufzudecken. Die TFP reagierte darauf, indem sie einen Text veröffentlichte mit dem bedeutsamen Titel: "Die neue atheistische und psychiatrische Inquisition ruft alle, die sie möchte, dazu auf, 'Sekten' zu vernichten" (Herausgeber: Gustavo Antonio und Luís Sérgio Solimeo, Société Française pour la Defense de la Tradition, Famille et Propriété, Paris 1991, Übersetzung des spanischen Textes von 1985). Im selben Jahr veröffentlichte die TFP in Kolumbien ein kleines Buch mit dem Titel: "Gehirnwäsche: Was ist das? Eine machiavellische Einrichtung? Satanisch?", in dem natürlich verschiedene Quellen angeführt wurden, um zu leugnen, daß es so etwas wie "Gehirnwäsche" überhaupt gebe.

Der Kampf gegen diese "neue Inquisition", der -- in dem ersten oben genannten Text -- "einer Allianz zwischen sozialistischen Politikern und Freudschen Psychiatern" zugeschrieben wird, ruft nach einer Koalition selbst mit denjenigen, deren Schicksal im zukünftigen Mittelalter "unbeugsame Bestrafung" sein wird, d.h. mit anderen Gruppen, die beschuldigt werden, Sekten zu sein.

Damit verbunden ist auch die Erfindung eines Feindes, den es gar nicht gibt: die "weltliche Antisektenbewegung", die angeblich ideologische und antireligiöse Zwecke verfolgt. Natürlich gibt es Sektenkritiker: doch in praktisch jedem Fall wurden ihre Organisationen von Personen mit unmittelbaren Familienproblemen gegründet, nicht von solchen mit irgendeinem ideologischen Hintergrund. Und "Psychiater und Sozialisten" wissen nur sehr wenig über die TFP: die meisten gut belegten Kritiken kommen von katholischen Traditionalisten, die demselben Milieu angehören.

Ich bin nicht in der Lage gewesen, diese Bücher aufzustöbern, daher weiß ich nicht, in welcher Beziehung sie zu einem kleinen Buch stehen, das ich auftreiben konnte und das von entscheidender Bedeutung für ein Verständnis des gesamten Themas des Krieges von Introvigne gegen die "Antisektenbewegung" ist, wie schon aus dem Titel zu ersehen ist: "Gehirnwäsche: Ein von der neuen 'Therapeutischen Inquisition' ausgebeuteter Mythos". Das Buch stammt aus dem, wie wir gesehen haben, entscheidenden Jahr: 1985.

Dieses Büchlein enthält, wenn auch erst in primitiver Form, bereits alle Vorstellungen, die Introvigne später entwickeln sollte: es ist tatsächlich ganz offenbar der Archetypus aller seiner späteren Schriften.

Der einzige Unterschied ist, daß es nicht den Anspruch erhebt, ein Werk akademischer Gelehrsamkeit zu sein. Wie die meisten extremistischen Veröffentlichungen ist es anonym und nur unterzeichnet von der "Amerikanischen Gesellschaft für die Verteidigung von Tradition, Familie und Besitz (TFP) und der Stiftung für eine christliche Zivilisation, Inc". Die Titelseite führt dann näher aus, daß "diese Untersuchung in Kolumbien und Brasilien herausgegeben" worden ist. Es ist nicht leicht, den Ursprung dieses Textes zu verstehen: obwohl der Inhalt eindeutig aus den USA stammt, handelt es sich um eine Übersetzung aus dem in Brasilien gesprochenen Portugiesischen.

Der Text ist in zwei voneinander unterschiedene Teile aufgeteilt: ein Vorwort Plinio Corrêa de Oliveira, das die ideologischen Richtlinien für den Krieg gegen die "Antisektenbewegung" festlegt, und einen größeren Teil, anonym, der hauptsächlich aus einer Sammlung von Zitaten verschiedener Persönlichkeiten besteht, die alle dazu neigen, zu beweisen, daß es so etwas wie "Gehirnwäsche" nicht gibt. Wie wir sehen, sind diese Zitate etwas wenig überzeugend, werfen jedoch eine Frage auf: Wie brachte es diese brasilianische Organisation plötzlich fertig, bei diesem ersten Exkurs auf dieses Feld so viele Zitate von US-Gelehrten zu finden? Ein brasilianischer Experte über die Prophezeiungen von Fatima wüßte ja wohl nicht einmal, wo er nach solchen Punkten wie einem Artikel von Faber, Harlow und West in Sociometry, Band 20, Nr. 4, Dezember 1957, Seiten 271-285, um einen typischen bibliographischen Verweis anzuführen, Ausschau halten sollte. Dies ist nur eine Hypothese, aber es läßt sich vermuten, daß dieser Text großenteils von einer anderen Veröffentlichung einer US-Gruppe abgeschrieben wurde, vielleicht der Vereinigungskirche, die wesentlich mehr Erfahrung darin hatte, Anschuldigungen, sie sei eine Sekte, zu widerlegen. Es wäre wahrscheinlich nicht schwierig, das Original aufzustöbern.

Dieses Vorwort des Doktors legt bereits in seinem Titel die Betrachtungsweise fest, der Introvigne noch ein Jahrzehnt später folgen sollte: "Gehirnwäsche und Sekte: Zwei undefinierbare Schlagwörter, die den Weg zu weltweiter Tyrannei und religiöser Verfolgung ebnen".

Eine Reihe von "extravaganten" Organisationen kommt auf der ganzen Welt hoch.

Der Wunsch, der Kriminalität Einhalt zu gebieten, die einige Organisationen hervorbringen, und die moderne Gesellschaft vor dem Einfluß von Gruppen zu bewahren, deren erklärtes Ziel es ist, auch wenn sie selbst nicht kriminell sind, so doch sich dramatisch von denen zu unterscheiden, die allgemein akzeptiert werden, hat eine weitverbreitete Antisektenbewegung hervorgebracht, die besonders in den Vereinigten Staaten am Werk ist. (Seite 7)
Hier sehen wir, wer Introvignes "Antisektenbewegung" erfunden hat. Plinio neigt zu einer völligen Trennung in eine Minderheit straffälliger Gruppen und in andere, die einfach deshalb bedrückt werden, weil sie, wie er wiederholt sagt, "extravagant" sind:
Ein viel sensibleres Thema ist das der legalen Unterdrückung von Sekten, die einfach extravagant sind und die, als solche betrachtet, nicht zur Kriminalität neigen; In solchen Fällen würden sie innerhalb des Gesetzesrahmens handeln []. Wie würde jemand vom Standpunkt der weltlichen und neutralen Mentalität der modernen Gesellschaft aus die modernen Gesetzesvorstellungen verletzen, wenn er einen Dreispitz trüge, eine normale Sache zur Zeit Ludwigs XV, oder in Maharadscha-Schuhen die Straße entlangliefe? Und wenn zwei oder mehr Leute sich ungewöhnliche Kleider anzögen und die Straßen entlangspazierten und unsinnige Verse sängen, wäre ihre Handlungsweise dann tadelnswert, wenn sie mit ihrem Singen weder den Frieden störten noch die guten Sitten verletzten? Indem die Antisektenbewegung daran festhält, daß der Staat Gesetze gegen extravagantes Verhalten wie dieses aufstellen sollte, wirft sie viele delikate und komplexe rechtliche Fragen auf -- alle, man beachte dies wohl, mit Auswirkungen auf die moralische und religiöse Ordnung []. Unter dem Vorwand, Extravaganz zu verhüten, würde der moderne Staat den Anspruch auf das Recht erheben, zu fast allen Aspekten der menschlichen Lebens eine offizielle Meinung zu bilden, zu definieren und als verpflichtend zu erklären -- zusammen mit dem Recht, alle diejenigen zu unterdrücken, die nicht nach dieser offiziellen Meinung lebten oder dachten. (Seiten 8-9)
Offensichtlich natürlich daß es keine Bewegung gegen "Extravaganz" gibt. Kein Sektenkritiker hat sich beispielsweise darüber beklagt, daß Scientologen Dreispitze trügen. Sie beklagen sich darüber (zu Recht oder nicht), daß sie das Geld der Leute nehmen.

Wie Introvigne in seiner Kritik an Jonestown fügt Plinio hinzu:

Merkwürdigerweise gibt es Antisektenorganisationen, die ihre Angriffe auf alles außer den Sozialismus und den Kommunismus ausgeweitet haben. Warum sehen sie sie nicht als philosophische Sekten an? Warum betrachten sie nicht eine der geistigen Verwirrungen der Hippies und der Rockbewegung als extravagant (auch wenn diese Bewegungen in vielen ihrer Rituale offen satanisch sind)? Warum? Es ist symptomatisch, daß sie häufig gegen die Feinde um sich schlagen, die der Kommunismus besiegen will. Man kann sich einfach des Schlusses nicht erwehren, daß diese Antisektengruppen, praktisch gesehen, den Weg für den Kommunismus ebnen und zu weltweitem Totalitarismus führen. So scheinen diese Antisektenorganisationen und der Sozialismus/Kommunismus zwei Seiten einer Medaille zu sein. (Seite 10)
Die falsche Argumentation an dieser Stelle wird für jeden offenbar sein, der auch nur die geringste Kenntnis der sogenannten "Antisektenbewegung" hat. Erst einmal fallen "Sozialismus und Kommunismus", wie der Faschismus und die katholische Kirche, nicht unter die recht strengen Kriterien, die verwendet werden, eine Sekte zu definieren. Zweitens: Sektenkritiker haben immer schon von jenen Kommunisten, Katholiken oder anderen Bewegungen Notiz genommen, die unter diese Kriterien fallen. Das ist der Grund, warum bestimmte marxistisch-leninistische Gruppen oder das Opus Dei, aber nicht die Kirche oder der Kommunismus ganz allgemein, im Visier standen (ob zu Recht oder nicht, ist eine ganz andere Sache). Die Rockbewegung steht natürlich nicht im Visier, weil sie "extravagant" ist; man kann sie kaum als "Gedankenkontrolle ausübende Sekte" ansehen.

Nun geht Plinio dazu über, sich über "Gehirnwäsche" auszulassen:

In den Vereinigten Staaten hatte der Begriff Gehirnwäsche einen tiefgreifenden Eindruck auf die öffentliche Meinung. Er wurde zuerst 1950 von dem Journalisten Edward Hunter jr. verwendet, und zwar in einer Artikelreihe für die Miami Daily News und das Leader Magazine, wo er die Foltern beschrieb, denen Amerikaner im Koreakrieg ausgesetzt waren, wenn sie in die Hände des Feindes fielen. (Seite 11)
Wenn man es so sagt, scheint ein Journalist das Wort erfunden zu haben. Tatsächlich aber kam "Gehirnwäsche" als positiver Begriff im kommunistischen China auf, hse nao, obwohl es von Edward Hunter in seinem Buch Gehirnwäsche in Rotchina in den Westen eingeführt wurde. Doch schon 1956 -- fast dreißig Jahre, ehe Plinio diese Zeilen niederschrieb -- hatte Lifton einen neuen Begriff, "Gedankenreform" (auch chinesischen Ursprungs), eingeführt, und etwa um das Jahr 1980 wurde der Begriff "Gedankenkontrolle" gebräuchlich. Margaret Singer, eine der führenden Sektenkritikerinnen in den USA, führte 1982 den ziemlich sperrigen Begriff "systematische Manipulation durch psychologischen und soziologischen Einfluß" ein (siehe Margaret Thaler Singer, Cults in Our Midst: The Hidden Menace in Our Everyday Lives, Jossey-Bass, San Francisco 1994). Natürlich kann man es Plinio leicht nachsehen, daß er dies nicht wußte; doch diese Tatsachen sind wichtig, da die "Antisektenbewegung" generell eine deutliche Trennung vornahm zwischen "Gehirnwäsche", also einer Einwirkung mit Gewalt, um mit physischem Zwang eine Meinungsänderung herbeizuführen, und Methoden der "Gedankenreform", gegründet auf dem systematischen Gebrauch jedes möglichen psychologischen Schlüssels, um die Kontrolle über Einzelpersonen aufrechtzuerhalten, ohne physischen Zwang zu benutzen. Journalisten gebrauchen natürlich weiterhin den Begriff "Gehirnwäsche", aber "Antisektenbewegungen" tun das nur selten oder nicht zu der Zeit, als Plinio schrieb. Ich habe nicht die Absicht, hier bei diesem komplizierten Thema Stellung zu beziehen, doch Plinio kämpft eindeutig gegen den falschen Feind.

Plinio rennt mit seinem Angriff gegen die Gehirnwäsche offene Türen ein: Gehirnwäsche meint Manipulation unter physischem Zwang; in modernen westlichen Sekten gibt es nur wenig Gelegenheit für körperlichen Zwang im chinesischen Stil, daher stimmt die ganze Theorie von der "Gehirnwäsche" nicht. Das Problem dabei ist, daß jede vernünftige Sektenkritik mit ihm übereinstimmen würde. Und tatsächlich wird der Psychiater Louis Jolyon West in dem Buch positiv angeführt: als Kritiker der Idee einer "Gehirnwäsche". Was der Scheiber mitzuteilen vergißt, ist, daß West sicher einer der führenden Kritiker einer Sektenkontrolle ist.

Ein ganz anderer Punkt ist, ob die soziale Umwelt äußerst überzeugend wirken kann; ganz getrennt von dem ganzen Thema mit Sekten ist jeder Versuch, das zu leugnen, hier zum Scheitern verurteilt. Ein offensichtliches, wenn auch extremes Beispiel waren die Menschenopfer bei den Azteken: egal, ob der einzelne Priester es genoß, mit seinem Obsidianmesser zuzustoßen, es gibt nur geringen Zweifel, daß er in sozialer Hinsicht davon überzeugt war, daß es eine höchst moralische Sache war, das zu tun. Und tatsächlich wäre es höchst unmoralisch, es nicht zu tun.

Doch wie wir gesehen haben, war "Gehirnwäsche" (lavado de cerebro) sicherlich eine offene Beschuldigung, die gegen eine Gruppe erhoben wurde: Plinios TFP.

Der wahre Grund für Plinios plötzliches Interesse an "Gehirnwäsche", "Sekten" und die "Antisektenbewegung" kommt erst zusammen mit einer introvignesken Verschlagenheit am Ende seines Vorwortes zum Vorschein. Nach der Feststellung, die einzige Lösung für "extravagantes Verhalten" sei, die verlorenen Schafe "wieder in die Hürde der heiligen katholischen Kirche zurückzubringen", sagt er:

Dieses Ideal, für das wir kämpfen, liefert noch einen weiteren wichtigen Grund, warum diese Untersuchung geschrieben und veröffentlicht wurde. Nicht nur die Kommunisten selbst, sondern auch ihre "nützlichen Idioten", die Linken aller Schattierungen und besonders die "katholischen Linken", klassifizieren unisono viele katholische Gruppen als "Sekten", die treu der traditionellen Lehre vom höchsten Magisterium der Kirche anhängen. Und um noch eine Beleidigung draufzusetzen: sie beschuldigen diese Katholiken, bei ihren Bekehrten "Gehirnwäsche" zu verwenden. Das Ziel dieses Werkes ist es daher, diesen Angriff zurückzuweisen und alle diejenigen zu entwaffnen, die diesen Angriff vorgetragen haben: die Kommunisten und ihre "Trittbrettfahrer" und "nützlichen Idioten". (Seiten 12-13)
Der größere Teil dieses kleinen Buches ist, wie wir gesehen haben, dem Zitieren von Kritiken an der Vorstellung einer Gehirnwäsche oder ihrer Bedeutung für heutige Sekten gewidmet.

Ein Zitat kommt recht überraschend; ehe man jedoch Anschuldigungen böser Absicht gegen die Verfasser der TFP losläßt, sollte man sich daran erinnern, daß das Buch wahrscheinlich nur eine Neuauflage von Material ist, das andere gesammelt haben. Auf Seite 18 enthält das Buch ein langes Zitat aus Gedankenreform und die Psychologie des Totalitarismus von Robert J. Lifton, der den Mißbrauch des Begriffes "Gehirnwäsche" in anderem Zusammenhang als mit physischem Zwang anprangert. Was derjenige, der das Material zusammengetragen hat, offenbar nicht wußte, ist, daß diese Kritik Teil von Liftons Vorschlag war, eine völlig andere Terminologie zu verwenden, um Manipulationen ohne Anwendung physischer Gewalt zu beschreiben; und Liftons Vorschläge waren die theoretische Grundlage für die ganzen Überlegungen der "Antisektenbewegung" zu Überzeugung und (wie sich der Begriff später entwickelte) Gedankenkontrolle. Selbst Introvigne mußte diese Tatsache zugeben, ohne jedoch Doktor Plinios Anweisungen zu verletzen: diese im Widerspruch zueinander stehenden Forderungen haben ihn dazu gebracht, von "Gehirnwäschetheorien der zweiten Generation" zu sprechen.


Introvignes Rolle in Plinios Krieg gegen die "Antisektenbewegung"

Dieses kleine Buch beweist, daß die TFP drei Jahre, bevor sie einen "Soziologen" fand, um eine Organisation dafür zu schaffen, dieselbe Linie der Sektenrechtfertigung wahrte.

Im Jahre 1985 griff der Sexologe Introvigne immer noch die "Jehovistensekte" an. 1987 veröffentlichte der Soziologe Introvigne Il reverendo Moon e la Chiesa dell'Unificazione(Elle Di Ci, Leumann, Turin), das erste Buch in seinem Krieg gegen die "Antisektenbewegung". Schließlich wird sogar in einem neueren Lebenslauf (in Libertà religiosa, 'sette' e diritto di persecuzione, Seite 150) eingeräumt, daß es erst "in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre war", daß Introvigne ein Spezialist für "zeitgenössische 'neue Religiosität'" wurde.

Sollen wir annehmen, daß Introvignes plötzliche Verwandlung um das Jahr 1985 in enger Beziehung zu diesem Feldzug der T.F.P. stand?

Es gibt mehrere Gründe für die Annahme, dies sei kein Zufall gewesen.

Zuallererst war es nicht Introvigne allein, der die Fronten wechselte: dieselbe symbiotische Beziehung zwischen der KA und Introvigne bestand vor und nach dem Frontwechsel.

Und der Frontwechsel betraf die gesamte KA, die sehr eindeutig ihre Sektenpolitik in derselben radikalen Weise änderte.

Zweitens kann man die Schriften Introvignes alle als ausführliche Serie von Fußnoten lesen, die die ursprüngliche These des "Doktor Plinio" über "Sekten und Gehirnwäsche" bestätigen. Wieviel er auch geschrieben haben mag, keines seiner folgenden Werke zeigt die leiseste Abweichung von diesen Richtlinien.

Drittens offenbart Introvigne in seinen persönlicheren Schriften in Cristianità ganz offen die strategische Natur der Sektenrechtfertigung; er stellt sie als notwendige Waffe im Kampf gegen die "Freudsche und marxistische Antisektenbewegung" und als Schutz von Opus Dei und anderen Gruppen (die T.F.P. wird nur selten erwähnt) gegen "Verfolgung" dar.

Es ist nichts Ungewöhnliches daran, wenn T.F.P.-Zweige die Anweisungen des "Doktors" aufnehmen und sie auf der ganzen Welt anwenden.

Man kann natürlich Dokumente aus dem Textzusammenhang gelöst zitieren, um fast jedes Szenario zu schaffen; ich glaube jedoch, daß ich die Dokumente korrekt zitiert habe -- in ihrem Textzusammenhang -- und im Gegenteil keine wichtige Information ausgelassen habe.

Natürlich sind öffentlich zugängliche Dokumente nur der letzte und am wenigsten authentische Schritt in einem langen Prozeß: ausschlaggebende Entscheidungen werden nie in Zeitschriften getroffen.

Doch die Dokumente, die zugänglich sind, scheinen eine Aussage zu bestätigen, die von ehemaligen Mitgliedern der KA (die nebenbei bemerkt nicht in eine "Antisektenstruktur sozialisiert" wurden) immer wieder vorgebracht wird: daß Massimo Introvigne sich als Folge einer Reise nach Brasilien entschloß, CESNUR zu gründen. Reisen nach Brasilien spielen, wie das Buch Tradizione Famiglia Proprietà: Associazione cattolica o setta millenarista?zeigt, eine sehr wichtige Rolle, um den sozialen Zusammenhang der Organisation zu bewahren.

Ich war selbst kein Mitglied der T.F.P.; deshalb kann ich nicht sagen, ob es sich um eine Sekte handelt. Was jedoch offensichtlich ist: die T.F.P. hat dieselben Erfahrungen gemacht wie Gruppen wie Scientology und Moon: Probleme mit den Eltern und Angehörigen von Mitgliedern und Beschuldigungen, heimlichtuerisch und doppelzüngig zu sein; Anklagen der Manipulation, des Personenkults und des aggressiven Jüngermachens. Und die Reaktion war genau dieselbe: die Schuld wird imaginären "Antisektenbewegungen" gegeben, die von "Psychiatern" betrieben werden.

Vermutlich entschloß sich die TFP dazu, auf solch einen unwahrscheinlichen Feind einzuhacken, weil ein Angriff auf die katholische Kirche ihre Quelle an idealistischen jungen Katholiken ausgetrocknet hätte (ehe er für Introvignes Theorien Partei ergriff, schob der Gründer der Neuen Akropolis, J.A. Livraga, die Schuld auf das Opus Dei und die Furcht des Vatikans vor dem "Giganten der Geschichte", womit er die winzige Organisation der NA meinte); ein Angriff auf Regierungen ist natürlich überall eine nicht ratsame Vorgehensweise.

Ist dieses ideologische Bild einmal gezeichnet, muß ihm alles eingepaßt werden.

Jeder, der etwas von sektenbeobachtenden Organisationen kennt, weiß, daß fast alle gegründet wurden, um ein Problem zu lösen: das der trauernden Eltern und desorientierter ehemaliger Sektenmitglieder. In diesem Sinne ähneln sektenbeobachtende Organisationen sehr anderen Selbsthilfegruppen, die durch Menschen geschaffen wurden, deren Leben zerstört wurde. Wenn solche Gruppen voreingenommen sind, dann sind es die typischen spontanen Voreingenommenheiten von Eltern -- sie sind in keiner Weise ideologisch, und in jeder sektenbeobachtenden Bewegung gibt es Menschen mit den unterschiedlichsten Ansichten, deren gemeinsames Problem jedoch viel wichtiger ist. Zumindest in Italien sind eine große Mehrzahl der Mitglieder der von Introvigne so genannten "Antisektenbewegungen" praktizierende Katholiken, doch ideologische/theologische Themen werden in keiner dieser Bewegungen, die ich kenne, diskutiert.

Introvigne jedoch will uns weismachen, wie man an sektenbeobachtende Organisationen herantreten "muß":

Man muß immer vom grundlegenden ideologischen Bezugsrahmen der Antisektenbewegung ausgehen, geboren in einer weltlichen humanistischen (laizistischen) Umgebung, die nicht in der Lage ist, jeglichem sozialen Phänomen standzuhalten, das der These widerspricht, daß es das Schicksal der Religion sei, immer mehr ihre Bedeutung in einer modernen und postmodernen Welt zu verlieren, die diese Religion im Grunde genommen nicht mehr braucht. Man sollte noch hinzufügen, daß [] die weltliche humanistische Ideologie fast immer (auch wenn es Ausnahmen davon gibt) mit liberaler und linker politischer Militanz einhergeht, die der politisch konservativen Militanz des neuen evangelikalen und fundamentalistischen Protestantismus gegenübersteht, wie auch einigen neuen religiösen Bewegungen, insbesondere der Vereinigungskirche des Reverend Sun Myung Moon. Zumindest gilt dies seit einigen Jahren (Introvigne in "L'Opus Dei e il movimento anti-sette", Cristianità, Mai 1994, Seiten 6-7)
Übrigens sind Psychiater nicht immer Feinde. In Cristianità schlägt ein gewisser Bruto Maria Bruti eine psychiatrische Behandlung als Lösung für das "Laster" der Homosexualität vor, wobei er ungefähr so viele wissenschaftliche Quellen anführt wie gewöhnlich Introvigne, und spricht von solchen Dingen wie der dritten Kernregion des vorderen Hypothalamus ("Omosessualità: vizio o programmazione biologica?", in Cristiantià, Juli-August, 1995).

Einige merkwürdige Freunde von Introvigne

Der herzliche Ökumenismus der TFP's nimmt überraschende Aspekte an. Gemäß dem französischen Journalisten Serge Faubert ("Le vrai visage des sectes", L'Evenement du jeudi, 4.-10.11. 1993, Seiten 44 ff.) war Introvigne eines der nur fünfzehn Gründungsmitglieder der sehr geheimen "Gruppe von Theben" (Groupe de Thèbes), die sich in der französischen Loge Grand Orient traf, ausschließlich aus Mitgliedern verschiedener "Orden" zusammengesetzt. Zu der winzigen Gruppe gehörte eine recht interessante Auswahl von Einzelpersonen:

Massimo Introvigne, der am 3. Juni 1990 an der allerersten Zusammenkunft dieser Loge teilnahm,

Remi Boyer, ein früherer Rosenkreuzer (AMORC), der Arc-en-ciel geschaffen hatte, einen Zusammenschluß von okkulten und New Age-Gruppen (darunter Sri Chinmoy, die Grand loge indépendent des rites unis, das Institut zur planetarischen Einheit, der Ritterorden vom Rosenkreuz, die Geistige Universität von Brahma Kumaris. Die Gruppe von Theben war Boyers zweites Geschöpf für eine kleinere und vermutlich höhere Gruppe von "Eingeweihten".

Jean-Pierre Giudicelli, der Führer der französischen Abteilung des Ordre de Myriam, ehemaliger korsischer Nationalist und rechtsgerichteter Kämpfer ("Ordre Nouveau" und "Troisième Voie").

Gérard Kloppel, Großmeister des Ordens von Memphis und Misraim.

Jean-Marie Vergério, Führer der "Templer der Circe".

Kotzamanis, Kanzler für Griechenland einer Templergruppe (aus Fauberts Artikel geht nicht klar hervor, ob Triantaphyllos sein Vorname oder der Name der Gruppe ist).

Das interessanteste Mitglied der Gruppe von Theben war sicherlich Christian Bouchet (als kämpferischer Atheist zieht es Bouchet vor, nur bei seinem Nachnamen genannt zu werden). Bouchet war prominenter Redner bei mehreren CESNUR-Ereignissen: bei der internationalen CESNUR-Konferenz in Santa Barbara im Jahre 1991 und viermal in Frankreich im Jahre 1992. Im Lichte der Behauptung von CESNUR, für "Professionalität" und "friedliche Diskussion" zu stehen, ist das recht amüsant. Ich habe keine Vorstellung, ob Bouchet irgendeine berufliche Qualifikation hat, außer ein Anhänger von Aleister Crowley zu sein (er nennt sich selbst "Ethnologe" im Gegensatz zu dem "Soziologen" Introvigne). Bouchet, seit den 70er Jahren in Frankreich ein Kämpfer weit auf dem rechten Flügel, gibt drei gesonderte Zeitschriften heraus. Für die allgemeine Öffentlichkeit gibt es Lutte du Peuple [Volkskampf], eine ziemlich hysterische Publikation, die viele Leute vielleicht als "neo-nazistisch" bezeichnen; dann gibt es Vouloir [Der Wille], eine kulturelle Publikation, die großenteils dem Studium von Nietzsche und Crowley gewidmet ist; doch Eingeweihte haben Zugang zu Thelema, was in Griechisch nochmals "Der Wille" heißt: Thelema ist natürlich Crowleys Lieblingsschlagwort. Bouchet ist Mitglied des Crowleyschen OTO (Ordo Templi Orientis).

Bouchets politische und religiöse Ansichten sollen mich hier nicht interessieren; was mich aber sehr wohl interessiert, ist, wie jemand wie Bouchet in die Art von "friedlicher" und "professioneller Diskussion" eingepaßt werden kann, für die CESNUR angeblich steht. Hier ist beispielsweise eine kurze Rezension, die Bouchet schrieb:

Die erste CD der Indus [industrial rock]-Gruppe Dissonant Elephants, "Unsere Augen wie Dolche", hat viel an sich, das uns anspricht: [] Der Schutzumschlag zeigt die Kröte von Jerusalem an seinem Kreuz mit einer roten Clownsnase ("Vient de sortir", Lutte du peuple, Sept.-Okt. 1995, Seite 13)
Gemeint damit ist Aleister Crowleys berüchtigtes Ritual, bei dem eine Kröte gekreuzigt wird.

Bouchet tauchte wieder bei einer Konferenz über "Wurzeln und Evolution des modernen Heidentums" in Lyon auf (3. und 4. Februar 1996), wo unter anderem Robert Amadou (ein bekannter Martinist) sprach, sowie die Rechtsextremisten Arnaud d'Apremont und Charles Antoni, Rémi Boyer (wiederum) wie Renato del Ponte, Experte über Julius Evola. Massimo Introvigne, "Direktor von CESNUR", war der Star der Konferenz.

Die Kommentare eines Teilnehmers dieser Konferenz zeigen eindeutig die Art von Bild, das Introvigne erfolgreich auf sein Werk projiziert hat -- statt seine eigene ideologische Bindung zu verbergen, zeigt er, wie er, obschon "Katholik", so doch "gezwungen" ist, gewisse Gruppen objektiv in Schutz zu nehmen; gleichzeitig ist er wissenschaftlicher Experte:

Introvigne ist Katholik, etwas, das er nie verheimlicht hat []. Und doch sind seine Untersuchungen von vorbildlicher Objektivität und Unparteilichkeit. []. Doch es mag überraschend kommen, zu sehen, wie Introvigne eine Einladung zu einer Konferenz annahm, bei der "Wissenschaftlichkeit" und "Ernsthaftigkeit", die er als Gelehrter sicher schätzen muß, keine Voraussetzungen waren. Introvigne selbst erkannte, wie seine Anwesenheit einige Überraschung verursacht haben konnte []. In seiner ersten Rede sagte Introvigne ausdrücklich, eine Einladung zu einer Konferenz von Neuheiden anzunehmen, wo erwartet wurde, daß "Neuheiden" sprachen, sei "nicht nur ein Vergnügen, sondern eine Pflicht", da der [kürzlich veröffentlichte] Bericht der Untersuchungskommission [des französischen Parlamentes] das Neuheidentum als sozial gefährlich beschrieben hatte, weil es unter Rassisten und antisemitischen rechten Kreisen weitverbreitet sei (Marco Pasi, "Esoterismo e nuova religiosità", in Orion, Mailand, März-April 1996, Seiten 51 ff.).
Natürlich gibt es nichts, das nur schlecht ist: Introvignes Aktivitäten, die großen Sektenmultis zu verteidigen, erleichtern sicher das Leben für exzentrische, aber harmlose Gruppen, die dasselbe Recht zu existieren haben, wie jede andere, und die diesem "katholischen Gelehrten" zu tiefem Dank verpflichtet sind. Einige junge Hexen, die sich durch die Präsenz einer solch großen Figur geehrt fühlen, sind sehr anständige Leute. Doch es ist sicher nicht nur die Dankbarkeit dieser Minderheitengruppen, die CESNUR am Leben erhält, und diese Bewunderer sind sich auch nicht des Schicksals bewußt, das sie erwartet, sollten die millennaristischen Bilder der T.F.P. eines Tages Wirklichkeit werden.

Die Artikel der Gemeinschaft Gruppe von Theben scheinen einige Nichteingeweihte von der Zugehörigkeit ausgeschlossen zu haben. Das bleibt in meinen Augen natürlich ohne Folge, doch es wirft einige Zweifel an Introvignes Recht auf, sich als Katholik zu bezeichnen, wenn man die strikte Verurteilung der Freimaurerei [durch die Kirche] in Betracht zieht. Vier Mitglieder dieser Loge nahmen neben Introvigne selbst an der CESNUR-Konferenz in Lyon im Jahre 1992 teil.

Wie üblich vermied es Introvigne, auf diese Anschuldigungen zu antworten; eine Antwort erschien jedoch in einem Bullettin, das allein für KA-Mitglieder reserviert ist (Domus Aurea Informazioni, 5./10. Sept. 1994, zitiert in Sodalitium, Nr. 39, Nov. 1994, Seiten 20 ff.) und das durch Zufall bekannt wurde. Introvigne behauptete, er habe über fünfzehn Bücher geschrieben, beschuldigte Faubert, "kommunistischer Kämpfer einer kleinen trotzkistischen Gruppe" zu sein, bestritt aber nicht, Mitglied in der Loge zu sein. Er behauptete auch, er habe das Recht, als "Soziologe" bezeichnet zu werden, da er "bis 1993" (das klingt besser als "1991 und 1992", wie in seinem Lebenslauf in Libertà religiosa, 'sette' e 'diritto di persecuzione' ausgesagt) in einem Seminar in der Provinzstadt Foddia (deren Erzbischof damals Präsident von CESNUR war) gelegentlich Religionssoziologie lehrte. Introvigne räumte ein, das Leck bei der Insiderinformation über die Theben-Gruppe habe "objektiven Schaden bei den Gelehrten [angerichtet], die an den Treffen der Gruppe teilgenommen hatten".

Introvigne war nicht immer so freundlich gegenüber der französischen "Neuen Rechten", aus der Bouchet kommt: Doktor Plinio hatte noch nicht seine neuen Richtlinien erlassen. Im Grunde genommen war seine These in der Vergangenheit (Massimo Introvigne, "GRECE e Nouvelle Ecole", in Cristianità; Nr. 32, Dez. 1977), daß die "Neue Rechte" eigentlich links stand. Unter der Überschrift "Eine einsatzbereite herrschende Klasse für die Revolution" findet man die folgende Beschreibung dieser französischen Neuheiden:

Ein "Cocktail" aus Evolutionismus, Neo-Positivismus, Wissenschaftsgläubigkeit, sexueller Revolution und eindeutig freimaurerischen Lehren in "indo-europäischer" Verpackung: in erster Linie, um diese jungen Menschen, die aus dem Sozialkommunismus und progressiver Anpassung entkommen sind, unterschwellig zu korrumpieren, um ihre Umwandlung zu "anonymen Revolutionären" zu begünstigen; in zweiter Linie, um das Verderben jeglicher antikommunistischer Reaktion vorzubereiten und zu versuchen, angesichts eines dunklen und fatalen neuheidnischen Trugbildes die unausweichlichen geistigen Bedürfnisse in einem antikatholischen und metaphysischen Sinne zu befriedigen. (Seite 5)

Introvigne, T.F.P. und die "Neue Rechte" in den USA

Allianzen mit Sekten sind jedoch nur ein Teil des TFP-Ökumenismus: das Rutherford Institute, ein Nebenprodukt von Jerry Falwells Moral Majority (gegenwärtig in Fälle von "religiöser Freiheit" verwickelt, zu denen merkwürdigerweise auch Miss Paula Jones' Sexprozeß gegen Clinton und ein Feldzug zählt, die nette Miss Tatiana Susskin freizubekommen, die augenblicklich in Israel inhaftiert ist, weil sie die arabischen Teile von Hebron mit Plakaten zugepflastert hatte, die ein Schwein zeigen, das den Koran schreibt), erhebt den Anspruch guter Beziehungen mit CESNUR (und Scientology bezeichnet das Rutherford Institute zusammen mit CESNUR als "Ressource der Menschenrechte").

Einige interessante Informationen über das Rutherford Institute sind in einem (ziemlich ruppigen pro-Clinton) Dokument zu finden, das den Titel trägt: Laßt uns reden über die Sekte Rutherford "Institute", Paula Jones -- und Bogus Christian, John Whitehead, im Internet mit der URL www.koopersmith.com/ 021989WhitehadAbout: Dieses Dokument bezieht sein Thema aus der Tatsache, daß das Rutherford Institute für einen kostenlosen Rechtsbeistand für Miss Paula Jones sorgt. Der Name des Institutes ist einem Prediger des 17. Jahrhunderts, Samuel Rutherford, entnommen, der glaubte, daß das biblische Gesetz Vorrang vor irgendeinem Gesetz, das Regierungen erlassen, habe. Tatsächlich wurde John Whitehead, der Gründer des Instituts, in einem Artikel im Moral Majority Report (Mai 1983) in günstigem Licht dargestellt: als jemand, der glaubt, daß Gerichte sich der Autorität der Gesetze Gottes zu unterstellen hätten, und daß alle zivilen Angelegenheiten und die Regierungen, auch das Recht, auf die in der Bibel zu findenden Prinzipien gegründet werden sollten.

Wir müssen sehr aggressiv sein, sagte Whitehead. Die Initiative ergreifen. Klage erheben statt verklagt werden.

Whiteheads Buch aus dem Jahre 1982, Die zweite amerikanische Revolution, verherrlicht den presbyterianischen Geistlichen Rousas John (R. J.) Rushdoony, den Vater des "Christlichen Rekonstruktionismus", der an der Notwendigkeit festhält, die Regierung dem biblischen Gesetz zu unterstellen, eine Argumentationsweise, die nicht unähnlich der ist, die hinter dem islamischen Fundamentalismus steht. Gemäß den Rekonstruktionisten sollte das weltliche Gesetz die Todesstrafe verhängen gegen Frauen, die abtreiben lassen, für "reuelose" Homosexuelle und sogar für "unbelehrbare Söhne". Rushdoonys Ministry of Chalcedon behauptet in seiner Broschüre, daß Chalcedon der Errichtung des Rutherford Institute förderlich war, dessen Zweck es ist, Rechtsanwälten bei der Verteidigung religiöser Freiheiten beizustehen. Rushdoony war einmal Direktor des Instituts. Whitehead behauptet, er sei kein Rekonstruktionist, aber einige seiner Aussagen lassen wenig Raum für Zweifel: Die Herausforderung für einen christlichen Anwalt besteht darin, ein vernehmbarer, dynamischer Fürsprecher für den wahren Rechtsberuf zu sein -- den, in dessen Mittelpunkt Jesus steht -- und bei nichts weniger aufzuhören, als das gesamte System zu bekehren. Wie die Katholische Allianz, wenn auch in protestantischem Kontext, glaubt Whitehead daran, die Kontrolle der politischen Rechten, der Republikaner, als einen ersten Schritt auf eine weltweite soziale Kontrolle hin zu erlangen.

Gleichzeitig, und gerade wie bei CESNUR, besteht das Ziel darin, eine ausgedehnte, geeinte Front aller "Religionen" herzustellen, egal ob historische oder selbsternannte, und weltweit vollen Gebrauch von den Sympathien für "unterdrückte religiöse Minderheiten" zu machen. Um diese Front herzustellen, kann das Rutherford Institute, sicher glücklicher als CESNUR, auf ein jährliches Budget von über 8 Millionen Dollar zählen.

Wäre die US-Atomsupermacht ein besseres oder schlechteres Land, wenn sie gänzlich in den Händen einer Gruppe von Fundamentalisten wäre, die entschlossen sind, ihre Lehren dem ganzen Planeten aufzuzwingen? Eigentlich ist diese Frage für uns nicht von Interesse. Wir möchten nur darauf hinweisen, wie diese Freunde von CESNUR hinter der Maske, die "Religionsfreiheit zu verteidigen", Ziele verfolgen, die recht weit entfernt von dem sind, was normale Menschen als Menschenrechte auffassen würden.

Die TFP war auch einer der Sponsoren der Konservativen Führungskonferenz im Jahre 1997, zusammen mit solch vernehmlichen Organisationen wie dem Zentrum für militärische Bereitschaft, der Christlichen Stimme, den Bürgern gegen die Verschwendung der Regierung und dem Bürgerkomitee für das Recht, Waffen zu tragen. Übrigens war die Christliche Stimme zumindest in der Vergangenheit eng mit der Moon-Bewegung verbunden, was uns daran erinnert, wie ein Mitglied der KA sich kürzlich gegenüber einem schockierten katholischen Freund von mir damit brüstete, daß die Angehörigen der Moon-Sekte zweitausend Exemplare eines Buches von Introvigne aufkauften, um sie kostenlos weiterzugeben, "weil es so objektiv war".

Schließlich hatte der Vater der Neuen Rechten, Paul Weyrich, etwas sehr Besonderes über die TFP zu sagen, als er an einer ihrer Konferenzen in Brasilien teilnahm: "In unserem Kampf sowohl in den USA wie auch auf der ganzen Welt ist die TFP eine der wenigen wirklich zuverlässigen und beständigen Organisationen, mit der wir zusammenarbeiten können" (Catolicismo, Okt. 1988, zitiert in Agnoli e Taufer, Seite 82. Catolicismo ist die offizielle Zeitschrift der brasilianischen TFP).

Über den Aufsatz von Plinio Corrêa de Oliveira, Nobility and Analogous Traditional Elites in the Allocutions of Pius XII: A Theme Illuminating American Social History (Oktober 1993, Hamilton Press, ISBN: 0819193100):

PAUL WEYRICH: Traurigerweise geben sich die meisten amerikanischen Eliten heute dem Eigeninteresse hin, nicht dem Dienst, was ein Grund ist, warum die Dinge hier so schlecht stehen. Ihr Buch kann Menschen wieder erkennen helfen, daß wir eine Elite brauchen und haben können, die sich dem Dienen widmet.

MORTON BLACKWELL: Man muß nicht an die Unfehlbarkeit des Papstes glauben, um eine überzeugend gemachte Sache wertzuschätzen. Das Buch argumentiert theologisch, moralisch und weise und wird so viele Leser egal welchen Glaubens überzeugen, daß gute Eliten gerechtfertigt, wünschenswert und, ja, notwendig sind.

Die Sektenrechtfertigung hat CESNUR und Introvigne zu einem Liebling bei vielen Gruppen gemacht, die sich, zu Recht oder zu Unrecht, bedroht fühlen.

So veröffentlicht Liberation Times (trotz ihres Namens in italienisch; Mai 1996) der Osho- Rajneesh-Bewegung (die meiner Meinung nach keine Sekte ist) den gesamten Text des Appells von CESNUR gegen die Diskussion sektenbezogener Themen im Europäischen Parlament. Der Text ist vollgestopft mit den üblichen Kommentaren über ein "wohlbekanntes internationales Antisektennetzwerk" mit einer "berüchtigten Geschichte der Bigotterie und des Hasses". Glücklicherweise ist die Rajneesh-Zeitschrift weit objektiver als die "Gelehrten", denen sie Platz einräumt.

Der Crowley-Anhänger Roberto Negrini schreibt in Misteri über Satanismus (März-April 1996) und schlägt ein Buch mit "dem richtigen Ansatz" vor: Massimo Introvignes Indagine sul satanismo.

Ein besonderer Bewunderer von Introvigne ist Maurizio Landini, ein recht liebenswürdiger Mensch, der hin und wieder ein Fan-Magazin namens Satanael herausgibt. Die allererste Ausgabe trägt die Formulierung "Veröffentlichung zum modernen Satanismus, Band I, gUTER fREITAG (Schreibweise wie im Original!) 1995". Derselbe Autor hat auch ein Werk herausgegeben mit dem Titel "TOD SCHMERZ BLUT KRANKHEIT von Maurizio Landini, ein Buch mit Horrorgeschichten und Heimsuchungspoesie".

Diese winzige Zeitschrift annonciert die Aktivitäten einer Reihe von Organisationen, darunter Vincent Crowleys ORDER OF THE EVIL EYE (O.E.E.), "offen für alle, die das Christentum verwünschen und ihm ein Ende bereiten wollen"; die Zeitschrift FENRIR, "die schockierend blasphemische Themen mit antisozialen, anarchistisch-subversiven und natürlich antichristlichen Themen" verbindet. Anstatt anarchistisch zu sein, scheinen die Anhänger der "FRATERNITAS FENRIR LAIR - MACABRE ATTIC" mit ihrem "nordisch" klingendem Namen eher neo-nazistisch zu sein.

Satanael spricht mit Achtung von dem Orden der Neun Engel und behauptet, sie würden "alle 17 Jahre" Menschenopfer durchführen.

Landini macht uns auch mit der Zeitschrift DIE EISERNE FAUST bekannt, dem Organ der FAUST FOUNDATION, die sich mit "Heidentum, Gegenkultur, Ethnophilosophie [Rassismus], Satanismus, der Neuen Rechten, N[ational]-S[ozialismus], Geschichte usw." befaßt.

Doch die größte Bewunderung des Autors ist reserviert für einen noch pittoreskeren Charakter. Hier sind einige Zitate:

Auf Seite 2: "Man sollte das ausgezeichnete Buch Indagine sul Satanismo des (katholischen) Gelehrten Massimo Introvigne oder das grundlegende Buch Cappello del Mago desselben Autors erwähnen".

Wiederum auf Seite 2 ein Zitat aus Indagine sul satanismo, Seite 408: "Satanismus in seiner 'reinen Form', vielleicht der Satanismus des Jahres 2000, ist nur die Metapher für eine brutale Modernität, die all ihrer rhetorischen Maskierungen beraubt worden ist []. Der Satanist reißt der Moderne nur ihre Maske vom Gesicht und zeigt, wie sie wirklich ist".

"Achamoth" pflichtet bei und kommentiert: "Satanael, der über schwarze Kerzen und Schwefeldämpfe hinausgeht, versucht zu verstehen (und es anderen begreiflich zu machen), wie viel an der heutigen Moderne 'satanisch' ist und wie viel Moderne im 'Satanismus' steckt".

Auf Seite 17 ein weiterer Hinweis auf Introvigne, diesmal in Verbindung mit dem Orden der Neun Engel.

Auf Seite 24 nimmt der Autor die Definition des Neo-Gnostizismus von "dem Gelehrten Massimo Introvigne" als seine eigene an.

Ich habe nichts gegen Leute wie diese. Was überrascht, ist der gewaltige Enthusiasmus, den ein angeblich "objektiver Gelehrter" bei solchen Leuten verursacht, die wohl kaum "friedliche Diskussionen" oder "professionelle Untersucher" mögen werden.


Warum CESNUR keine Sektenkritiker mag

Die TFP hat einige sehr gute Gründe, warum sie keine Sektenkritiker mag. Man lese die folgende Aussage zweier Kritiker, um zu verstehen, warum Introvigne so viel Zeit und Mühe aufwendet, um die von ihm so genannten "Antisektenbewegungen" anzugreifen. Beide Aussagen kommen aus Spanien, wo sich die TFP in Erinnerung eines Sieges von Christen über Muslime "Covadonga" nennt:
Die TFP-Sekte hält zumindest in Brasilien einen paramilitärische Verband von Kämpfer-Mönchen aufrecht, genannt die "Wachen des Westens", die ein paramilitärisches Training durchlaufen und ein Gewand mit einer Kette als Gürtel tragen (sie lernen, diesen als Waffe zu benutzen)sowie hohe Militärstiefel, sie tun Schweigegelübde und geißeln sich regelmäßig. Diese "Armee" besteht aus hochgradig fanatischen und gewalttätigen jungen Menschen. ("El poder de las sectas", Pepe Rodríguez, 1989, Ediciones B. Seiten 233, 245, 246)
Carlos Manuel Arbues ist 22, Sohn einer Witwe, sein Großvater mütterlicherseits war Kommunistenführer in der [Spanischen] Republik.

"Zu Hause wurden mir ständig Antimilitarismus, Atheismus und Nonkonformismus eingeflößt; darum war ich, als ich 15 war, fasziniert von Uniformen, Medaillen und dergleichen. Wir waren vier Freunde, prima Jungs, kleine Anführer in unserer Nachbarschaft, wo wir unsere Stärke zu zeigen pflegten. Eines Tages kam eine Gruppe Jugendlicher in unsere Straße; sie trugen Fahnen und sangen Hymnen und riefen laut. Sie ließen uns mit ihnen gehen. Sie wollten gerade zu einer Demonstration, und sie trugen Ketten und eine Menge Bücher und Propagandaflugblätter: Ja, der Rosenkranz würde uns retten, ja, Freimaurerei und Kommunismus seien das Verderben Es war uns egal, was sie glaubten, wir waren an den Abzeichen der Organisation und den Kämpfen, in die sie täglich gerieten, interessiert."

Aber habt ihr nicht gemerkt, daß ihr an eine völlig faschistische Organisation geraten wart?

[...] "Für junge Leute veranstaltet Covadonga regelmäßig Studienwochen und spezielle antikommunistische Trainingskurse (SEFAC), die aus Reden bestehen, aus Studiengruppen, Theateraufführungen, Besuchen bei historischen Gedenkstätten der glorreichen Epoche Spaniens; es werden Bergsteigen und Karate betrieben, und Exkursionen und Urlaubscamps werden veranstaltet." [Dieses Zitat scheint aus einer offiziellen Covadonga-Publikation zu stammen].

O.k., aber das ist nichts Schlimmes.

"So sah es am Anfang aus, und wir fühlten uns sehr männlich mit unseren Rängen und Abzeichen, aber nach einiger Zeit waren wir nicht mehr wir selbst; wir hatten nur noch Gedanken für das, was unsere Führer uns sagten. Sie hielten uns unter ihrer Fuchtel, bis schließlich eines Tages ..."

Sprich weiter, was passierte?

"Sie schickten uns als 'Provokateure' zu einem Treffen der kommunistischen Partei in Casa de Campo. Ich möchte nicht mit Einzelheiten kommen, weil mich das anwidert. Ich schlug einem Mädchen mit meiner Kette ins Auge und sah, wie Blut herauslief. Meine Kameraden schlugen Leute und lachten dabei, und ich rannte weg. Als ich nach Hause kam, gab es eine dramatische Szene: das Mädchen war die Tochter eines Cousins von mir, und sie hatte das Auge verloren. Ich verließ sie, aber ich mußte auch die Nachbarschaft und meine Familie verlassen, Und ich bin nicht mehr ich selbst. Ich hasse sie und fühle mich gleichzeitig von ihnen angezogen. Es ist wie Drogenabhängigkeit." ("Las sectas", Pilar Salarrullana, 1990. Ediciones Temas de Hoy. Seiten 98, 100)

Ich weiß nicht, wie wahr diese Geschichten sind; selbst wenn sie es sind, lassen sie wahrscheinlich noch eine Menge aus. Die Geschichten haben alle Begrenzungen journalistischer Vereinfachung. Natürlich sind sie nicht schlimmer als die Art von Lebensberichten, die Cristianitàregelmäßig über kommunistische oder palästinensische "Greueltaten" zu veröffentlichen pflegte. Man kann jedoch gut verstehen, warum Introvigne gerne "Abtrünnigengeschichten" hinwegerklären möchte. Das Mädchen, mag man sich vorstellen, verlor ihr Auge, weil Carlos Manuel Arbues in eine "Antisektenunterstruktur sozialisiert" worden war.

Daß Introvignes Theorien über "Abtrünnige" einen anderen Zweck erfüllen als die "Soziologie" hinter ihnen, ist nicht etwas, das ich sage. Es ist etwas, das Introvigne schrieb, so direkt, wie ein Anwalt nur schreiben kann. Er schrieb es in einer Kritik von Gordon Urquharts Buch "The Pope's Armada", eine kritische, aber gut belegte Untersuchung über das Opus Dei, Focolarini und die Neokatechumänen und María del Carmen Tapias' eigene Lebenserinnerungen im Opus Dei. Der Artikel wurde natürlich in Cristianità geschrieben, das so wenig gelesen wird, daß Introvigne wohl hoffte, das Geheimnis bleibe in der Familie.

Warum sollten die Berichte von "Abtrünnigen" (Gordon Urquhart gründete die FocolariniBewegung in Großbritannien) unter den Teppich gekehrt werden? Introvigne ist klar und deutlich:

Wenn wir der Sache ganz auf den Grund gehen möchten, müssen wir bereits die Prämissen von Büchern wie dem von Gordon Urquhart oder María Carmen Tapia in Frage stellen. Natürlich ist dafür ein Preis zu zahlen: Haben wir einmal die unkritische Annahme dessen zurückgewiesen, was "Exmitglieder" sagen, Theorien über "Gehirnwäsche" und die quantitative Definition von "Sekte" für Focolarini, Opus Dei oder die Schwestern von Kalkutta der Mutter Teresa, werden wir nicht mehr in der Lage sein, dieselben Theorien zu verwenden, auch wenn wir Jehovas Zeugen oder die Anhänger des Reverend Moon kritisieren wollen. Vielleicht ist das nicht einmal das Schlechteste: Selbst bei diesen Gruppen haben jahrelange Erfahrungen gezeigt, daß quantitative, nichtreligiöse Kritik Zeitverschwendung ist, wohingegen wir den katholischen Glauben nur dann ernsthaft verteidigen können, wenn wir die Lehren der neuen religiösen Bewegungen ernst nehmen und sie auf religiösem Niveau kritisieren. (Massimo Introvigne, "'Sette cattoliche': l'equivoco continua", in Cristianità, Nr. 260, Dezember 1996, Seite 5)
Übersetzt bedeutet das, daß es Introvignes Absicht ist, "den katholischen Glauben ernsthaft zu verteidigen"; um das zu tun, muß man jede kontroverse katholische Gruppe verteidigen. Es ist leicht, hier einen impliziten Aufruf zur Solidarität aller katholische Gruppen mit der TFP zu sehen.

Das heißt, keine "unkritische Annahme dessen, was 'Exmitglieder' sagen", zuzulassen (unsere Erfahrung zeigt, daß Introvigne nichts davon zuläßt), auch wenn das bedeutet, daß wir mit nichtkatholischen Sekten "nicht mehr in der Lage sind, dieselben Theorien zu verwenden". Mit "quantitative Kritik" meint der "Soziologe" Introvigne soziologische Interpretationen, die durch ausschließlich "religiöse Kritik der Lehren" ersetzt werden müssen: Beispielsweise "Thetanen" mit dem aggressiven Personal von Scientology oder Geschichtszyklen mit den Fabrikleitern von Moon zu besprechen.

Ich möchte nicht den Wert von Bekehrungen leugnen; doch eine theologische Diskussion ist so lange nicht möglich, wie man keine gemeinsame Sprache oder gemeinsame Werte hat. Man könnte sich eine Diskussion über die Aussage eines Bibelverses mit einem Zeugen Jehovas vorstellen, wenn solch ein Vers als Basis für beide Teile annehmbar ist; aber eine Diskussion hat keine Grundlage, wenn es keinen gemeinsamen Ausgangspunkt gibt. Ein Priester und ein Anhänger einer esoterischen Gruppe haben z.B. nur das menschliche und das kulturelle Element gemeinsam; so ist die gemeinsame Grundlage nicht theologisch, sondern liegt darin, unser Gegenüber zu verstehen, was ihn vom menschlichen (und damit soziologischen und psychologischen) Standpunkt aus an seine Gruppe bindet), zu verstehen, was seine Abhängigkeiten sind. Ein theologischer Dialog kann nur später beginnen, wenn der einzelne sich dessen bewußt wird, daß er eigene Entscheidungen treffen kann.

Massimo Introvigne weist wie sein CESNUR/KA-Kollege Ermanno Pavesi (übrigens ein Psychiater) in einem 14-seitigen Artikel in Cristianità darauf hin ("La psichiatria e i movimenti anti-sette", Cristianità, März 1997, Seite 13, ein Zitat von M. Introvigne, Autoguarigione e autoredenzione, in AA.VV., Salute e salvezza: prospettive interdisciplinari, Herausgeber: Ermanno Pavesi, Di Giovanni, San Giuliano Milanese, 1994, Seite 66; es ist wert, anzumerken, daß diese ganze Ausgabe von Cristianità nur noch einen weiteren Artikel enthält) und bietet seinen eigenen Weg an, Gruppen zu unterscheiden:

Eine Typologie der Lehren, die verschiedene Wellen neuer Religionen nach ihrem Verhältnis zur katholischen Weltsicht und ihren charakteristischen Elementen unterscheidet: die Kirche, die einzigartige Rolle Jesu Christi, Gott, das religiöse Empfinden als spezifischen Weg, mit dem Heiligen in Bezug zu stehen.
Für einen katholischen Priester ist dies natürlich ein völlig legitimer Ansatz, aber das hat keinerlei Bezug zur Soziologie. Dieses Leugnen der Soziologie rückt natürlich das Opus Dei und ähnliche Organisationen (gemeint: die TFP) auf elegante Weise aus dem Rampenlicht: ihre Lehren sind mehr oder weniger katholisch, und jeder brasilianische Bauer, der sich im Streit mit der TFP befindet, wird nur über die Dreieinigkeit diskutieren dürfen.

Ich habe zwar nicht die Absicht, meine Meinung über das Opus Dei oder dergleichen Organisationen kundzutun, doch es ist recht klar, daß eine solche Haltung der TFP ziemlich viele mächtige Freunde mit eben denselben Problemen einbringen wird.


CESNUR und "Soziologie"

In seinen Erwiderungen auf die erste Version des vorliegenden Textes sagt Introvigne mir, ich sei "frei", über seine Legitimationen "zu denken", was ich wolle.

Ich meine nicht, daß Legitimationen etwas sind, über das man nach Belieben "frei denken" kann. Entweder gibt es sie oder nicht. Ich möchte hier nicht in die Diskussion einsteigen, wer rechtlich gesehen ein "Soziologe" ist. Ich streite zwar nicht ab, daß Herr Introvigne -- wie er behauptet -- "wissenschaftliche Vereinigungen, Universitäten und Gerichte" vom Gegenteil überzeugt hat (im Mai 1998 hörte ihn halb Italien im Fernsehrprogramm Canale Cinque sich selbst einen "Soziologen" nennen), doch ich glaube, ein guter Soziologe ist jemand, der darüber schreibt, wie eine Gesellschaft funktioniert; und ein schlechter Soziologe hat zumindest ein Diplom in Soziologie.

Ich habe die meisten Schriften Introvignes über "Neue religiöse Bewegungen" gelesen (ich habe allerdings keine seiner vielen Veröffentlichungen über Handels- und internationales Patentrecht gelesen). Ich finde, daß es im allgemeinen verläßliche und gut geschriebene Quellen über etwas sind, das man "Geschichte der Theologie" nennen könnte. Ich denke, sie enthalten nur wenig, das man als Soziologie auffassen kann.

Dafür gibt es ein gutes Beispiel. Le sette cristiane ist ein kleines Buch, geschrieben für die Öffentlichkeit; so sollte es das Wesentliche von dem enthalten, was Introvigne seinen Lesern mitteilen möchte. Nehmen wir dazu den Teil über Jehovas Zeugen, der dem Durchschnittsleser ein Gesamtbild der Organisation geben soll. Der Teil über ZJ ist in drei wohlformulierte Kapitel gegliedert, von denen jedes zehn Seiten umfaßt. So ist es einfach, eine statistische Analyse der darin behandelten Punkte vorzunehmen.

Ein Soziologe, der diese Bewegung untersucht, würde sicher von ihrer Geschichte und ihren Ideen sprechen; doch hauptsächlich würde er sich darauf konzentrieren, wie mehrere Millionen ZJs tatsächlich leben. Wie Macht, Geld und Autorität innerhalb der Organisation fließen. Über die Auswirkungen einer völligen ideologischen Distanz zum Rest der Gesellschaft. Über soziale Schichten, die von der Botschaft angezogen werden. Über die Wirkung auf Hunderttausende junger Männer, die in einer Organisation leben, die ihnen sagt, statt in Ländern, in denen Wehrpflicht herrscht, zur Armee zu gehen, sollten sie lieber ins Gefängnis gehen. Über die Veränderung der Sprache in einer Organisation, in der jedes Wort im voraus von einer kleinen Gruppe beschlossen wird, über die das Durchschnittsmitglied nur wenig weiß. Über die Auswirkung, die die Erwartung, Harmagedon stehe unmittelbar bevor, auf Berufskarrieren, Ehen und das Aufziehen von Kindern hat. Über den Tagesrhythmus, wo es hauptsächlich um Zusammenkünfte und das Predigen von Tür zu Tür geht. Über die psychologischen Implikationen einer Entscheidung auf Leben und Tod bei einer Bluttransfusion. Über das Leben in einem Zeitrahmen ohne Geburtstage oder Weihnachtsfeiern. Über die Identität von Menschen, die sich einem Zeugen Jehovas in Hongkong oder in Ruanda mehr verbunden fühlen als den Menschen, mit denen sie arbeiten oder zur Schule gehen. Über die positiven Aspekte, in einer Umgebung zu leben, wo das Rauchen verboten ist und vom Trinken abgeraten wird. Anders als bei anderen Gruppen, für die keine spezifischen Informationen vorliegen, gibt es hier einen gewaltigen Bestand an Belegen.

Und was tut nun der "Soziologe" Introvigne in seinem Buch? Ein Kapitel, d.h. ein Drittel des gesamten relevanten Textes, ist einer sehr gründlichen Analyse der Entstehung der Lehren und der Führung der ZJ gewidmet. Ein weiteres Drittel geht auf Änderungen in der Lehre der ZJ zwischen 1914 und heute ein. Das letzte Drittel ist ausdrücklich überschrieben: "Die Lehren der Zeugen Jehovas". Drei Drittel: das sind hundert Prozent an Text, die sich der Theologie widmen. Das letzte Kapitel enthält ein paar Zeilen (etwa ein oder zwei Prozent des gesamten Textes), die bestimmte Gesetze der Zeugen Jehovas aufführen, ohne jedoch ihre Wirkung auf die Menschen, die ihnen gehorchen, zu beschreiben. Die Überschrift dieses Teils lautet "Ethik" und folgt anderen Überschriften wie "Das Schicksal des Menschen" und "Jesus Christus".

Das ist ein typisches Beispiel für Introvignes Methode. Diese Art von Nicht-Soziologie hat eine gesellschaftliche Auswirkung: Wenn die Zeugen Jehovas völlig eine "Theologie" sind, dann sind allein Theologen autorisiert, über die Bewegung zu sprechen. Das ist eine Form der Enteignung gegenüber allen anderen betroffenen Menschen, ob innerhalb oder außerhalb der Organisation. Diese Haltung spiegelt das Glaubenssystem der TFP wider, das die Vorstellung ausschließt, daß brasilianische Bauern etwas zu sagen hätten: Alles Bestehende ist ein Streitfall zwischen der Jungfrau Maria und Satan im Himmel, und zwischen Thomas von Aquin und Karl Marx auf Erden.

Kardinal Bernardino Echeverría Ruiz, faßt -- natürlich -- in der KA-Zeitschrift Cristianità("Un'opera che ci invita a riflettere seriamente", Januar 1996, Seite 17) Plinio Corrêa de Oliveiras Theologie zusammen:

Es hat immer schon weise und unwissende Menschen gegeben; Klassen, die herrschen und Klassen, die gehorchen, die Reichen und die Armen. Christus selbst hinterließ uns diese Lehre: Die Armen werden immer bei euch sein [...] [Corrêa de Oliveira] wahrt die Notwendigkeit der Wiederentdeckung der sozialen Werte der privilegierten Klassen, von Familien, die dem Adel angehören, von Familien guter Geburt dank ihrer Titel und Traditionen.
Der Durchschnittsleser braucht wahrscheinlich eine Minute, bis er erkennt, daß der Kardinal tatsächlich Plinios Gedanken gutheißt, dessen "Kämpfer" zu sein ja Introvignes Organisation stolz ist.

Zusammenfassend glaube ich, das Beste, das man sagen kann, ist, daß Introvigne wahrscheinlich ein sehr guter, sehr geschäftiger Patentanwalt mit dem privaten Hobby der Geschichte der Theologie ist, was zufällig mit dem Krieg seiner Organisation gegen die "Antisektenbewegung" zusammentrifft.


Introvignes Methoden

Ein anderer KA-Kämpfer schreibt in der rechtgerichteten Tageszeitung Il Secolo d'Italia:
Der Kampf mit Worten, wie Corrêa de Oliveira sagt, ist von grundlegender Bedeutung; wer ihn verliert, gibt seinem Gegner immense Macht, einen Vorteil, der nicht mehr zurückerobert werden kann. (Andrea Marcigliano, "Liberale e/o conservatore?", in Il Secolo d'Italia, 30. Mai 1997)
Anders als normale Gelehrte befindet sich Introvigne im Krieg und hat nicht die Absicht, den Kampf mit Worten zu verlieren. Zurückhaltende, reaktionäre Sprache ist in einer Gesellschaft wie der unsrigen zum Verlieren verurteilt. Im Westen inspiriert die Rhetorik großer idealistischer Angelegenheiten -- ob basierend auf sozialer Revolution, Nationalismus oder Religion -- nur winzige Gruppen machtloser "Extremisten". Die moderne Volkswirtschaft hat unsere Welt zu einer konsumorientierten gemacht, gegründet auf isolierte Einzelpersonen; und isolierte Einzelpersonen können nur durch ständig wiederholte Appelle an ihre individuellen "Menschenrechte" gewonnen werden. Mit anderen Worten: Political correctness ist zur einzig möglichen Sprache geworden. Doch die Inhalte dieser political correctness sind vollkommen austauschbar. Jeder, der über genügende Mittel verfügt, kann immer seine eigene Sache, was es auch sein mag, in Begriffen von "Verteidigung der Freiheit" der einen oder anderen Art darstellen: ein offenkundiges Beispiel ist der vernichtende Sieg des "freien Unternehmertums" über die "Rechte der Arbeiter" oder sogar über das "Recht auf Arbeit".

Angelegenheiten der "Freiheit" sind, wenn man nur laut genug dafür eintritt, im allgemeinen unwiderstehlich. Was könnte jemand gegen die "Religionsfreiheit" haben? "Antireligiöse Unterdrückung"?

Doch jeder Slogan hat auch einen Inhalt. Es gibt authentische Probleme mit der Religionsfreiheit; im Grundsatz geht es dabei um das Recht tief verwurzelter Gemeinschaften, weiterhin einen Lebensstil zu pflegen, der von einer Weltanschauung diktiert ist: das ist zum Beispiel der Fall beim Recht der Tibeter, in ihrer überkommenen Weise zu beten, oder dem eines Moslemmädchens, in französischen Schulen Schleier zu tragen. Das sind Dinge, mit denen keine Beschränkung der Rechte anderer Menschen oder kein Angriff auf Wertesysteme anderer verbunden sind.

Etwas anderes ist dagegen die Freiheit, Methoden der Massenpublizität zu verwenden, um die Wertesysteme anderer zu verändern; ohne physischen Zwang, aber mit allen Mitteln der Verführung, die die moderne Technologie an die Hand gibt. Das ist das Thema, das sich bei Konflikten in vielen Teilen der Welt stellt -- in Griechenland Israel, der islamischen Welt, Rußland -- zum Beispiel zwischen Kulturen, die die Absicht haben, Merkmale ihrer eigenen Identität zu wahren, und aus den USA stammenden, Anhänger suchenden Organisationen, die vorhaben, diese Identitäten radikal zu verändern.

Ein dritter Punkt ist die Freiheit, sich auf die Religion zu berufen, um Vorrechte zu erhalten, die Unternehmen oder politischen Gruppen normalerweise nicht gewährt werden: Steuerbefreiung, ein privilegierter kultureller Status und natürlich Befreiung von jeder Form sozialer Kontrolle. "Mein Glaubenssystem" sagt, daß Leute zwölf Stunden pro Tag ohne Lohn in meinen Fabriken arbeiten müssen, und meiner Organisation dieses Recht vorzuenthalten bedeutet, zur Zeit der Inquisition, zum Gulag oder zu Auschwitz zurückzukehren, je nach dem Zusammenhang, der die tiefste Saite bei der Zuhörerschaft zum Klingen bringt.

Man kann sich nur schwer dem Eindruck entziehen, daß Introvignes Vorstellung von religiöser Freiheit im Grunde genommen die dritte genannte ist.

Massimo Introvigne hat in seinen Büchern und Artikeln sicherlich gewisse interessante Fragen zur Sprache gebracht. Obwohl ich das bin, was er einen "professionellen Feind" nennt, stimme ich persönlich mit seinen Zweifeln am Wert einer repressiven Gesetzgebung und mit der Bedeutung überein, die er den Ideologien (er zieht den katholischen Begriff "Doktrin" vor) der verschiedensten Organisationen zumißt, die als Sekten oder neue religiöse Bewegungen eingeordnet werden. Und natürlich tut er recht daran, Sektenkritiker davor zu warnen, es nicht dabei bewenden zu lassen, die dem Menschen innewohnenden religiösen Gefühle im allgemeinen zu kritisieren. Er hat diese Punkte bei endlosen Gelegenheiten vorgebracht, und sie sind es sicherlich wert, in Erwägung gezogen zu werden.

Das gewaltige persönliche Leid hinter der Schaffung der meisten sektenbeobachtenden Organisationen führt Personen, die sich mit diesem Thema befassen, leicht dazu, zu vergessen, wie kompliziert die Wahrheit in Wirklichkeit ist, und ein ausgeglichenerer Ansatz, der die Verschiedenheit der Themen in Betracht zieht, wäre nicht das Verkehrteste.

Doch dazu ist einiges zu sagen. Wenn Sekten nicht einer Repression unterworfen sind (wenn sie genug Geld haben, werden sie natürlich immer einen Weg aus einem neuen Gesetz heraus finden) -- und Repression an sich ist ein "Privileg", da sie damit für eine besondere Behandlung ausgesondert sind --, sollte man ihnen auch keine Vorrechte gewähren. Wenn ein Ideologieunternehmen Millionen Dollar verdient, sollte es derselben Form von Rechnungswesen, Steuerzahlung und der Verpflichtung unterzogen werden, Löhne und Sozialbeiträge zu entrichten, wie jedes andere Unternehmen auch. Introvigne möchte es andersherum: er verteidigt das Recht bestimmter Gruppen, "wie jeder sonst" behandelt zu werden, und dann fordert er, daß ihnen die außerordentlichen Vorrechte gewährt werden, die die Behörden der undefinierbaren Kategorie "Religionen" zuerkennen.

Sekten berühren Gesellschaften in verschiedener Weise -- sie belegen nicht nur Menschen mit Beschlag, sondern auch Besitz, Geschäfte und politische Macht. In einer Demokratie können aggressive Lobbys entweder durch aggressive Regierungen vernichtet werden (und Introvigne und ich stimmen darin überein, daß dies nicht geschehen darf), oder sie müssen sich offen dem kritischen Blick der Öffentlichkeit aussetzen. Praktisch gesagt bedeutet das, daß das Recht von Kritikern, uneingeschränkt Fakten über Sekten zu veröffentlichen, garantiert werden sollte.

Bei einem Prozeß vor kurzem in Rußland zeigte Introvigne, daß er ganz anders denkt, indem er (in seiner Rolle als "Sachverständiger") ein Memorandum zur Unterstützung eines Sektenkartells schrieb, das die Gerichte bei dem Versuch benutzte, ein Buch des russisch-orthodoxen Kritikers Aleksandr Dvorkin zu unterdrücken. In Introvignes Welt sollten Sekten frei von jeder Kontrolle durch die Behörden und die Gesellschaft sein.

Der zweite Punkt ist, daß Ideologien ("Doktrinen") auch soziologisch betrachtet werden müssen. Wenn eine bestimmte Sekte sagt, wir lebten nur noch ein paar Jahre vor dem Ende der Welt, mag das eine entfernte Assoziation zu apokalyptischen Trends der Vergangenheit wachrufen; es hat jedoch auch eine praktische Auswirkung auf die Entscheidungen der Mitglieder, ob sie noch eine Universität besuchen oder Ganztagsaktivisten ihrer Sekte werden sollten. Sektenkritiker neigen dazu, Handlungsweise und Glaubensbekenntnis voneinander zu trennen; doch Glaubensbekenntnisse werden oft dazu benutzt, um Handlungsweisen hervorzubringen.

Schließlich hilft es nicht der allgemeinen Sympathie für Religionen, wenn er genau das behauptet, was die militantesten Atheisten schon immer geglaubt haben: daß aggressive Geschäftsleute, ruchlose Manipulatoren und Leute, die glauben, als Herren der Welt geboren zu sein, bona fide religiöse Personen seien.

Ich glaube, daß Introvignes Karriere als Anwalt eine Menge damit zu tun hat.

Sowohl Wissenschaftler als Anwälte schreiben Untersuchungen, in denen die Fakten in Ordnung zu sein scheinen und wahr aussehen. Der Unterschied liegt daher nicht im offensichtlichen Ergebnis, sondern in der Art und Weise, in der jeder von beiden mit seiner Arbeit beginnt: Der Wissenschaftler, welche Vorurteile er auch haben mag, unternimmt den kühnen Versuch, neue Entdeckungen anzupassen, die Meinung auf der Grundlage der Tatsachen zu ändern.

Die Aufgabe eines Anwaltes besteht im Gegenteil: Was auch immer die Fakten sind, er muß den Punkt beweisen, den zu unterstützen er bezahlt wird. Egal wie viele Untersuchungen er vornimmt oder wie gut sein Werk aussieht, man weiß, was das Ergebnis der Arbeit eines Anwaltes sein wird: der Beweis, daß sein Mandant unschuldig ist oder daß die andere Seite schuldig ist.

Bei Gerichtsprozessen gewinnt immer jemand und verliert immer jemand: so muß das Ergebnis in den Köpfen der Richter sein, daß eine Seite gut und die andere schlecht ist.

Einige Anwälte sind in ihrer Freizeit exzellente Wissenschaftler. Introvigne andererseits ist ein Fulltime-Anwalt. Wie viel er auch schreibt, man weiß bereits, daß es nur einem Zweck dient: zu zeigen, daß Sekten "unschuldig" sind und daß die "Antisektenbewegung" schuldig ist. Das heißt, dieselben Punkte immer wieder zu "beweisen".

Die Beweggründe der Sekten müssen gut sein ("Religion"); die Beweggründe ihrer Kritiker (die für das Deprogrammieren bezahlt werden) sind so schlecht wie ihr Charakter (sie sind "geistig verwirrt") und ihre Handlungsweise (sie "fabrizieren Greuelmärchen", sind "professionelle Feinde" usw.).

Das führt Introvigne, wie jeden fähigen, aber skrupellosen Anwalt, dazu, die Fakten zu benutzen, wie es ihm gerade paßt: etwas, von dem ich glaube, daß ich es anhand des kleineren Beispiels seiner "Untersuchung" über die Neue Akropolis und in dem umfangreicheren Beispiel seiner Erfindung einer weltweiten "weltlich-humanistischen Antisektenideologie" gezeigt habe.

Ein oberflächlich überraschender Aspekt des Werkes Introvignes ist seine Tendenz, die widersprüchlichsten Gruppen zu verteidigen. Er schreibt nicht zur Verteidigung beispielsweise der Baha'is oder der Baptisten; seine Schriften widmen sich großenteils dem Reinwaschen von Gruppen, die aus verschiedenen Gründen (hier gebe ich kein persönliches Urteil wieder) im Kreuzfeuer der Kritik stehen: Aum Shinrikyo wegen der Gasverbrechen; die Davidianer aus Waco; Neue Akropolis, oft beschuldigt, Neo-Nazis zu sein; Satanisten, die sich als das genaue Gegenteil des Christentums darstellen und die man verschiedener schockierender Verbrechen verdächtigt; Scientology mit seinem Ruf, rücksichtslos zu manipulieren; Moons Vereinigungskirche, wegen ihrer Massenhochzeiten und Waffenfabriken kritisiert. Die Anwesenheit Introvignes als "Sachverständiger" zur Verteidigung von Scientology bei einem Prozeß im September 1995 in Lyon, bei einem Fall, der viele zivile Vergehen, doch keine religiösen Punkte zum Inhalt hatte, ist kaum eine Hilfe für Religionen bona fide, die Probleme haben.

Der letzendliche Zweck, warum Introvigne Anwalt ist, wurde deutlich in Sodalitium von einem katholisch-traditionellen Schreiber angegeben ("Alleanza massonica?", in Sodalitium, Dez. 1997, Seite 66):

Angesichts dieser Schwierigkeiten bündeln die TFP und ihre Ableger ihre Kräfte. Um die TFP und das Opus Dei (unseren "Konterrevolutionären fast ebenso lieb) zu verteidigen, ist folgendes nötig:
1. Die Antisektenbewegungen anzugreifen (die es wagen, TFP und Opus Dei unter den Sekten aufzuführen).
2. Die Religionsfreiheit (wenn diese für sie gilt, stehen wir auch besser da) für die unglaublichsten Sekten aggressiv zu verteidigen.
3. Die "lefebvrischen Sedevakantisten" zu bestrafen, weil sie schuldig sein sollen, die TFP und das Opus Die angeprangert und sie beschuldigt zu haben, Sekten zu sein.
"Lefebvrisch" bzieht sich auf die Anhänger von Monsignore Lefèbvre, "Sedevakantisten" meint jene katholischen Traditionalisten, die glauben, der "Stuhl Petri" sei gegenwärtig verwaist. Natürlich ist der letzte Punkt zwar von direktem Interesse für katholische Traditionalisten, doch er ist in der allgemeinen Strategie der TFP nur von untergeordneter Bedeutung.

Er verdient es jedoch, erwähnt zu werden, da es hier ist, daß Introvigne eine neue, außerordentliche Verschwörungstheorie entwickelt, fast vergleichbar seiner "Sexpriester"-Theorie. In einem Buch ('Sette' e 'diritto di persecuzione') gegen den Bericht der französischen Nationalversammlung -- Koautor der KA-"Regent" Giovanni Cantoni -- widmet Introvigne mehrere Seiten der Verteidigung der auch in dem Bericht genannten TFP und beklagt, daß in dem Bericht keine katholisch-traditionalistischen oder islamischen Organisationen aufgeführt werden. Dann fügt er die bemerkenswerten Worte an (Seite 106):

Es gibt eine beunruhigendere, oder wenn man lieber will: nachteiligere, Hypothese. Besonders in Frankreich, aber nicht nur dort, haben in den vergangenen Jahren mehrere "lefebvrische" und "sedevakantistische" Publikationen einen Feldzug gegen "Sekten" geführt, wobei sie eine besonders gewalttätige Sprache gebrauchten. Wenn es bloß, oder hauptsächlich, darum ginge, die traditionelle katholische Lehre zu verteidigen, wäre nichts daran überraschend. Doch diese Literatur gebraucht die typischen Argumente der weltlich-humanistischen [laizistischen] Antisektenbewegung etikettiert oft solche katholischen Organisationen wie die TFP und das Opus Dei als Sekten. Ein gerechtfertigter Verdacht steigt auf: die Antisektenbewegung benutzt bestimmte "levebvrische" und sedevakantistische Gruppen als Fronttruppen, als Pioniere, die aus der Nähe als erster Angriff in die Schlacht geschickt werden. Natürlich werden diese Truppen, wenn nötig, geopfert, da diese Gruppen -- um ein typisches Kriterium der Antisektenbewegung aufzugreifen -- sich leicht als Sekten abqualifizieren lassen, wenn, falls und soweit es nötig ist.
In Introvignes phantastischer Welt gibt es nicht nur eine "weltlich-humanistische Antisektenbewegung"; es werden sogar katholische Traditionalisten als Teil einer fragwürdigen Strategie benutzt.

Über den Begriff "Abtrünnige"

Der Begriff "Abtrünniger" definiert die Wirklichkeit und stellt alles an seinen Platz. Der Ursprung ist religiös, und das "beweist", daß eine Sekte, die ihn gebraucht, bona fide eine Religion ist (wenn die Organisation, wie bei der Neuen Akropolis, nicht den Anspruch erhebt, keine Religion zu sein).

Der Begriff erinnert mich an den Abtrünnigen par excellence, Julian. Praktisch ein Gefangener, umgeben von Lehrmeistern, die versuchten, ihn mit dem "einzig wahren Glauben" zu beeindrucken, traf Julian eine eigene, schwierige Entscheidung. Nicht jeder mag sie teilen, aber sie erforderte gewiß einen gewaltigen Mut.

Und schließlich eine genaue Definition. Doch der Grund, warum CESNUR sie verwendet, ist, um die Erfahrung zu leugnen. Wir können nur von denen etwas über Sekten erfahren, die sie persönlich kennen. Doch die Stimme derer, die gegenwärtig einer Sekte angehören, ist nur der Widerhall der einzig zulässigen STIMME, der des Meisters (der in Doktor Plinios Theologie die einzige Stimme ist, der ein Gentleman Aufmerksamkeit schenken sollte). Eingeweihten zuzuhören ist so, als versuche man, etwas über die Lebensbedingungen in einem Autowerk zu erfahren, indem man die FIAT-Anzeigen liest.

In seiner Erwiderung per E-mail auf die erste Ausgabe des vorliegenden Textes bezog sich Introvigne in der folgenden, äußerst entlarvenden Weise auf mich:

Noch einmal, ich bin nicht daran interessiert, mit einem "Dolmetscher" meine akademischen Legitimationen oder meine Arbeit zu diskutieren.
Tatsächlich begann die Diskussion mit einer Analyse des Werkes Introvignes über die Neue Akropolis; und ob sich Introvigne als Soziologen bezeichnet oder nicht, ich habe nun einmal vierzehn Jahre Erfahrung mehr als er mit dieser Organisation; und das gibt mir das Recht, sein Werk zu besprechen, wenn es ein Feld berührt, das ich besser als er kenne (und wenn es mich auch noch erwähnt).

"Abtrünnige" zum Schweigen zu bringen ist verbunden mit dem Willen, zu kontrollieren. Wie die Diplomaten des 19. Jahrhunderts hören die Bürokratien verschiedener Führungen nur auf einander. Sie mögen Gegner sein oder auch Spitzengespräche führen, aber es gibt eine Sache, in der viele Politiker, Führer von Gruppen und einige Akademiker übereinstimmen: darin, daß man unangenehmen Lärm zum Schweigen bringen muß, der von den Soldaten in den Schützengräben kommt, wenn sie meutern, wenn sie aufhören, nur Stützen für die Fahnen ihrer Führer zu sein.

Dies ist unsere Stimme. Sie mag unangenehm sein. Sie mag manchmal übertreiben. Sie mag Erinnerungen vertreiben, die zu schmerzhaft sind. Aber sie gibt uns eine sehr viel klarere Vorstellung von dem, wie das Leben im Schützengraben aussieht, als alle patriotischen Zeitungen mit ihrer Hofberichterstattung.


Quellen

Über die TFP gibt es nur wenig kritisches Material, und wir wären für Anregungen dankbar.

Nur wenige Artikel kommen aus einer Ecke, wo man Kritik als am wahrscheinlichsten vermuten würde: von der politischen Linken. Eine Internet-Seite in Portugiesisch von der Bewegung der "Landlosen", etwas kritisches Material aus Spanien und eine ausgezeichnete, aber nur ausschnittweise Untersuchung eines Professors der Durban University in Südafrika (wo die TFP unter dem Apartheid-Regime die "Religionsfreiheit feierte", wie Introvigne sagen würde, weil die progressive katholische Zeitschrift New Nation verboten wurde) sind alles, was man mit einer schnellen Suche durch das Web ausmachen konnte. Es standen auch ein paar interessante Artikel in der französischen Presse.

Die besten Quellen, die wir kennen, sind zwei Bücher, die von katholischen Traditionalisten herausgegeben werden:

1) Tradizione, famiglia, proprietà: associazione cattolica o setta millenarista?, 1996

2) Carlo Alberto Agnoli e Paolo Taufer, TFP: la maschera e il volto.

Beide sind nur durch Priorato Madonna di Loreto, via Mavoncello 25, 47828 Spadarolo di Rimini, Italien, Tel./Fax 0541-727767 - 728335 zu beziehen.

Das erste Buch ist eine sehr interessante Analyse der Organisation; es finden sich auch Berichte ehemaliger TFP-Mitglieder darin.

Das zweite Buch ist sehr von den Verschwörungstheorien des Autors bestimmt, die ich persönlich ablehne. Doch das Buch enthält viele interessante Zitate aus TFP-Material.

Mehrere sehr gut belegte Artikel sind in der Zeitschrift Sodalitium der katholischen Traditionalisten erschienen, und zwar als Reaktion auf Introvigne, der diese ultra-orthodoxen Thomisten in einem Artikel über "Neue religiöse Bewegungen" plazierte, irgendwo zwischen den Moon-Anhängern und den Satanisten. Introvigne besaß die Geschmacklosigkeit, das in einem Artikel in der Zeitschrift der italienischen Freimaurer, Ars Regia, zu tun, die von "Bruder" Mauro Mugnai (Sodalitium, Nr. 35, Okt.-Nov. 1993) herausgegeben wird; einer Zeitschrift, in der Introvignes Name als "wissenschaftlicher Berater" für die Herausgeber auftaucht.

Weiteres interessantes Material gab es bei einer Debatte in Orion, einer italienischen Zeitschrift, die allgemein als "rechts" bezeichnet wird und wo man sowohl Pro- als auch Anti-TFP-Stimmen vernehmen kann (Orion, c/o Libreria del Fantastico, via Plinio 32, 20129 Mailand, Italien).

Doch das interessanteste Material über die TFP stammt von ihr selbst:

Roberto de Mattei, Il crociato del secolo XX: Plinio Corrêa de Oliveira, PIEMME, Casale Monferrato, Italien, 1996 (ein Buch, das, glaube ich, in mehrere Sprachen übersetzt wurde).

Diese Biographie der Führer rühmt sich voller Stolz dessen, was die meisten Leute als den anrüchigsten Aspekt der TFP ansehen würden: allein schon die Fotografien in diesem Buch genügen, um Introvigne aus dem Geschäft zu werfen. Ein Blick auf die Fußnoten zeigt, daß de Mattei, außer daß er der Führer der KA-Schwesterorganisation, Centro Lepanto ist, auch noch ein großer Introvigne-Zitierer ist. Und die Zitate, die er zitiert, kommen alle auf den Punkt: sie verteidigen Meister Plinio.


Introvignes Antwort: die Transsylvanische Dracula-Gesellschaft

Am 29. Mai 1998 erhielt ich die folgende Antwort, die hier in Kursivschrift wiedergegeben wird (Ich habe mir die Freiheit genommen, die verschiedenen Punkte, die Introvigne aufwirft, zu numerieren; einige Punkte sind schon im Text behandelt worden; deshalb wiederhole ich sie hier nicht). Meine Kommentare folgen in normaler Druckschrift.

Das Direktorium von Cesnur International besteht gegenwärtig aus (und die Information ist bereits öffentlich gemacht worden):

Dr. Massimo Introvigne

Prof. Eileen Barker

Dr. J. Gordon Melton

Prof. Reender Kranenborg

Herrn Michael W. Homer

Prof. Régis Ladous

Dr. Jean-François Mayer

Prof. Luigi Berzano.

Ich habe nie abgestritten, daß CESNUR internationale Zweige hat. Und was diese internationalen Zweige angeht, so sehe ich, daß Herr Introvigne sich nicht zu der Hypothese äußert, der französische Zweig sei "durch und durch freimaurerisch" (eine Hypothese, die ich mit beträchtlichem Vorbehalt zitiert habe).

Jean-François Mayer ist übrigens ein recht interessanter Charakter. Die "Sonnentempler" fanden, daß er genügend auf ihrer Wellenlänge war, daß sie ihm ihren Abschiedsbrief vor dem Selbstmord schrieben. Mayer stand auch Monsignore Lefèbvre nahe (siehe Sodalitium, Nr. 35, Okt.-Nov. 1993).

Er hat kürzlich das Sektenverteidigungsgeschäft verlassen, und einige seiner Schriften sind sehr interessant. Man hat uns auch gesagt, daß er eine viel angenehmere Person ist als Introvigne, was, so glaube ich, ein wichtiger Punkt ist.

Professor Kranenborg ist einer der Gelehrten bona fide, die ich an früherer Stelle erwähnt habe.

Eileen Barker hat ein schönes Arbeitsverhältnis mit Reverend Moons transnationaler Gesellschaft.

2) Es ist merkwürdig, daß wir darauf bestehen, daß wir keine katholische Gemeinschaft sind, und wenn dies durch äußere Quellen bestätigt wird (wie Monsignore Fitzgerald -- aber es wäre nicht aufrichtig, seine Brief vollständig zu zitieren), wird es als große Entdeckung gepriesen.

Der Rest des Briefes von Mons. Fitzgerald ist im Internet zu finden und fügt nichts Interessantes hinzu.. Ich zögere immer, Material aus dem Internet hinzuzunehmen, weil es schwer ist, seine Authentizität zu beweisen.. Ich danke Herrn Introvigne daher dafür, daß er es getan hat. Bei der Frage, ob CESNUR katholisch ist, sind zwei Fakten von Interesse. Ich kann mit keine andere Organisation vorstellen, die "unabhängig von der Kirche" ist, bei der die Statuten bestimmen, daß der Präsident und der Direktor einer bestimmten Kirche angehören müssen. Das hat nichts damit zu tun, ob der Vatikan Herrn Introvigne mit Wohlwollen betrachtet, was er übrigens nicht tut. Ähnliche Überlegungen gelten für Introvignes wiederholte Appelle für ein "theologisches" Herangehen an die Sektenfrage.

Zu Ihrer Information: Die Website wird betrieben -- und bezahlt -- von CESNUR International, und nicht von mir selbst.

Ich habe nicht die Denkart eines Patentanwaltes, so fürchte ich, daß ich den Punkt nicht ganz verstehe, ob die CESNUR-Website von CESNUR Italien oder von CESNUR International betrieben wird. Interessant wären weitere Anmerkungen dazu, wer für CESNUR International bezahlt: ist es immer noch dieselbe piemontesische Regierung, die für CESNUR Italien bezahlt?

4) Martinez ist offensichtlich nicht vertraut mit soziologischer Literatur über Abtrünnige, sonst würde er erkennen, daß es keine Abfälligkeit, sondern ein technisches Etikett ist.

Mein Artikel handelt nicht von der technischen Verwendung des Begriffes: doch selbst als solche stehen die Definitionen, die in der "soziologischen Literatur" verwendet werden, immer noch in keinem Verhältnis zu mir oder den Menschen, von denen ich weiß, daß sie einer Sekte angehörten. Mich interessiert, wie Introvigne das Wort [Abtrünnige] gebraucht, und bei ihm ist es abfällig.

Mir hängt es zum Hals heraus, und ich habe nicht die Absicht, persönliche Meinungsunterschiede auszutragen.

Ich verstehe, daß das Herrn Introvigne zum Hals heraushängt, wo immer eine seiner Arbeiten erörtert wird. Das war schon immer seine Antwort auf Kritik von irgendeiner Seite. Eine meiner Lieblingantworten Introvignes war die an den französischen Psychiater Abgrall, der Kenntnis von der Beziehung zwischen CESNUR und TFP nahm. Introvigne sagte, "das seien offensichtlich deliröse Wahnvorstellungen, die keines Kommentars bedürfen". ("Il ritorno dei giacobini: il rapporto della commissione parlamentare belga d'inchiesta sulle sette", Cristianità, Nr. 269, Sept. 1997, Seite 7).

"Deliröse Wahnvorstellungen" -- es ist schließlich der eigene Lebenslauf des Koautors Cantoni in Libertà religiosa, 'sette' e diritto di persecuzione (Seite 149), der uns sagt:

"Zwischen 1962 und 1966 leitete er die Sammlung von Essays, die Edizioni dell'Albero in Turin herausgab, deren Mitgründer er war und die er verließ, als diese Initiative nicht mehr zu seinen Vorstellungen paßte. Durch dieses Instrument führte er in Italien die Schriften von -- unter anderem -- Thomas Molnar, Francisco Elías de Tejeda y Spínola, Pater Roger-Thomas Calmel O.P. und vor allem die von Plinio Corrêa de Oliveira ein."

"Vor allem ..."

Dieser Lebenslauf zeigt auch einen überraschenden zweiten Aspekt auf: der ultra-katholische Cantoni rühmt sich, in Italien die grundlegenden Veröffentlichungen eingeführt zu haben, die später die nichtchristliche extreme Rechte inspirieren sollten -- die Schriften von Jean Servier und Mircea Eliade.

Was "persönliche Meinungsunterschiede" angeht, so gibt es nur einen, und der stammt von Introvigne selbst. Herr Introvigne bezog sich auf das Gerichtsurteil gegen mich und den Sender Canal Plus und sagte: "Tatsächlich haben, wie bereits erwähnt, Gerichtsurteile festgelegt, daß einige der Anschuldigungen [die Herr Martinez gegen die Neue Akropoliserhoben hatte] nicht wahr sind". Herr Introvigne nennt mich persönlich einen Lügner und greift ein Gerichtsurteil auf, das -- wie zu Beginn dieser Abhandlung schon ausführlich gezeigt -- etwas ganz anderes besagte: Es bestätigte indirekt die Authentizität von Dokumenten, die der Neuen Akropolis zugeschrieben werden, indem gesagt wurde, daß eine Reihe von Äußerungen darin besorgniserregend seien. Das Gericht weigerte sich auch ausdrücklich, abzuwägen, ob Anschuldigungen gegen die Neue Akropolis wahr wären oder nicht. Was Platz für einige Zweifel daran schafft, wer hier lügt.

Herr Introvignes Feststellung: "Abtrünnige mit Verbindung zu Antisektenbewegungen wie Miguel Martinez rühmen sich gelegentlich dessen, daß ihre Öffentlichkeitsarbeit als entscheidender Faktor für einen Rückgang der Mitgliederzahl der Neuen Akropolis in Frankreich verantwortlich sei", ist falsch und anzüglich.

Nachdem er mich als Abtrünnigen bezeichnet hat, unterstellt er, daß die von Bryan Wilson erhobenen Beschuldigungen gegen "Abtrünnige" auf mich zutreffen. Ich überlasse es Herrn Introvigne, zum Beispiel zu beweisen, daß ich einen Ghostwriter hätte.

Bevor er solche haarstäubenden Fehler über mich macht, hätte Herr Introvigne mich gut selbst fragen können: "Obwohl großenteils von der Sozialisation in die Antisektenunterstruktur geformt, sind die Erzählungen von Abtrünnigen nicht irrelevant, und ich schlage gewiß nicht vor, sie zu ignorieren. Sie sollten jedoch in ihren richtigen Zusammenhang eingeordnet und mit anderen Quellen verglichen werden". Er ignoriert nicht nur meine Erzählung, wenn diese auch "großenteils geformt" ist von meiner angeblichen "Sozialisation in die Antisektenunterstruktur", er schreibt mir auch eine Erzählung zu, die niemals von mir stammt. Das ist keinerlei Wissenschaftlichkeit.

Da es in meinen Erwiderungen auf diese persönlichen Angriffe nichts Persönliches gibt, muß ich annehmen, daß Introvigne generell Probleme mit Meinungsunterschieden hat. Doch nicht einmal das ist wahr: In den vergangenen Jahren hat er Hunderte von Seiten mit kontroversem Material gegen die von ihm so genannte "Antisektenbewegung" geschrieben. So kann ich nur vermuten, daß Introvigne nur dann etwas "zum Hals heraushängt", wenn Kontroversen in beiderlei Richtung bestehen.

6) Ich finde es auch recht lustig, daß er ein Buch über die TFP zitiert, das von der Bruderschaft St. Pius X herausgegeben wurde -- ist diese Bruderschaft nach seinen eigenen Maßstäben etwa keine "Sekte"?

Jeder Autor sollte stolz sein, seine Quellen zu zitieren. In meinen Schriften habe ich Introvigne immer Glauben geschenkt; nicht nur, wenn ich ihn zitiere, sondern auch, wenn ich eine Idee von ihm erhalte. Als ich diese Quellen, katholische Traditionalisten, erwähnte, wußte ich sehr wohl, daß sie gegen mich gerichtet werden könnten. Doch diese Quellen sind wichtig, weil sie von Leuten stammen, deren Ideologie nicht weit von derjenigen von Introvigne selbst entfernt ist. Sie kennen das Milieu persönlich. Und sie haben Zugang zu TFP-Material, das sie genau zitieren. Ich hätte dieses Material leicht direkt zitieren können, ohne die Sekundärquellen zu nennen, so wie Introvigne heutzutage Doktor Plinios Worte und Ideen anführt, ohne die Quelle zu erwähnen. Ich habe es vorgezogen, das nicht zu tun.

Ich bin persönlich anderer Meinung als katholische Traditionalisten, und zwar aus denselben Gründen, warum ich mit der TFP/Katholischen Allianz nicht einer Meinung bin. Introvigne kennt meine Maßstäbe nicht, die ich an Sekten anlege; doch ob er mit ihnen übereinstimmt oder nicht: Er kennt nicht die Maßstäbe anderer Sektenkritiker. Und er sollte sich darüber im klaren sein, daß katholische Traditionalisten ganz allgemein gesagt nicht unter diese Maßstäbe fallen (sie fallen aber unter Introvignes Maßstäbe, da er sie in seinen Schriften in einem Atemzug mit Satanisten, Scientology und anderen Gruppen nennt). Katholische Traditionalisten suchen nicht andere zu bekehren, sie haben (anders als die TFP) keine Geheimnisse, sie zerstören keine Familien und sie hinterlassen keine Leute bankrott. Und sie bezeichnen sich selbst nicht als "Soziologen", nur weil sie hin und wieder über gesellschaftsbezogene Themen schreiben.

Nachdem ich Introvignes Antwort gelesen haben, füge ich meiner Liste noch absichtlich Orionhinzu, was Introvigne sicherlich weiteren Stoff liefert, die eigentlichen Themen zu umgehen.

Mit freundlichem Gruß (auch von dem "verblichenen" Dr. Melton, den ich letzte Woche traf).

Massimo Introvigne

Der Seitenhieb auf den "verblichenen" Dr. Melton scheint eine ironische Erwiderung auf eine Schlußfolgerung zu sein, daß er starb. Ich habe ihn in meinem Text nicht einmal erwähnt; deshalb trifft der Humor in dieser Feststellung daneben. Vielleicht wurde Herr Introvigne durch die grabesgleiche Spezialisierung des Methodistenpfarrers Gordon Melton über Vampirismus durcheinandergebracht: Es scheint Melton gewesen zu sein, der Introvigne hineinzog, Präsident der Internationalen Transsylvanischen Dracula-Gesellschaft zu werden. Übrigens korrigierte mich Introvigne zumindest in diesem Punkt sehr schnell: Er sagt, er sei nur Präsident der italienischen Sektion der Internationalen Transsylvanischen Dracula-Gesellschaft. Wie auch immer, ich glaube sicher, daß zumindest dieser Titel recht authentisch ist.

Ein Kommentar zu Introvignes Buch über Dracula wirft etwas interessantes Licht darauf, wie die alten KA-Kämpen sich gegenseitig helfen. Der Kämpfer Marco Respinti schreibt regelmäßig in der rechtsgerichteten Tageszeitung Il Secolo d'Italia (dem offiziellen Papier von Finis Alleanza Nazionale) und tritt für etwas ein, das rechte Kritiker "Kathokapitalismus" genannt haben. Das hat anscheinend wenig mit Dracula zu tun, doch Respinti findet einen Weg, seinem Kollegen kostenlose Publizität zu geben. Er nennt Introvignes Werk "hochwissenschaftlich"; Introvignes Untersuchung über den Satanismus wird "monumental". Er ist ein "rastloser Forscher; ein Detektiv nicht der unmöglichen, sondern der nur zu möglichen Art; ein fähiger Gründer einer Schule". Seine Untersuchungen "liefern den besten, ja, den einzig wahren Schlüssel für die Auslegung". CESNUR wird zu "einem Netzwerk internationaler akademischer Organisationen". Und in seiner Untersuchung über Dracula hat Introvigne "eine kolossale intellektuelle, kulturelle und wissenschaftliche Mühe" aufgewandt; dieser "große Experte" ist natürlich "Präsident der italienischen Sektion der Transsylvanischen Dracula-Gesellschaft" (Marco Respinti, "Nemici di Satana", in Il Secolo d'Italia, 29. Juni 1997, Seite 17, zitiert in Sodalitium, Dez. 1997, Seite 68). Respinti räumt im weiteren Verlauf ein, aus welchem Grund CESNUR gegründet wurde. Er gratuliert CESNUR für die Hilfe, den Freispruch des italienischen Satanisten Marco Dimitri (ein unsympathischer, aber offenbar harmloser Mensch) erreicht zu haben, und erklärt, daß die "Antisektenbewegung" damit anfängt, Satanisten zu verfolgen, doch dann "damit endet, in ungehöriger Weise darüber hinauszugehen, wie aus den kürzlichen Anklagen gegen die folgenden sehr wichtigen katholischen Bewegungen, Sekten zu sein, zu ersehen ist: Opus Dei, die Gesellschaft zur Verteidigung von Tradition, Familie und Besitz, der Focolarini-Bewegung, Comunione e liberazione und sogar Mutter Teresa aus Kalkutta".

Was sehr treffend unsere ganze These zusammenfaßt, warum Introvigne ein Verteidiger von Sekten geworden ist.


Addenda, 1. Juni 1998

Am 1. Juni 1998 erhielt ich eine weitere Antwort von Introvigne, die keine sein sollte.

Die Anschrift von CESNUR -- Via Juvarra 20, Turin -- ist nicht meine eigene. Mein Haus wäre kaum in der Lage, 11.000 Bücher zu beherbergen. Mein persönlicher Briefkopf als Verwaltungsdirektor von CESNUR benutzt das CESNUR-Logo und gibt meine Privatanschrift an.

Ich weiß nicht genau, auf was das eine Antwort sein soll. Nach der ständigen und ungebetenen Erwähnung, wie viele Bücher CESNUR habe (jedes Dokument der Organisation behauptet eine immer größer werdende Zahl), scheint das Sammeln von Büchern die Haupttätigkeit der Organisation zu sein. Introvignes Haus muß sehr klein sein -- einer meiner Freunde, der in einem kleinen Haus wohnt, hat eine private Büchersammlung; ihm gehören an die 10.000 Bücher plus Zehntausende von Zeitungsausschnitten und etwa 400 Prozeßakten. Er setzt diese Information allerdings auf keine Visitenkarte.

Es interessiert uns nicht wirklich. Tatsächlich glaube ich, die Angriffe der Antisektenbewegungen haben zu dem Erfolg unserer Initiativen beigetragen. Wie Martinez wissen sollte, war in diesem Jahr eines der Ergebnisse der Feldzüge gegen CESNUR und mich persönlich ein zunehmendes Interesse in den Medien für unsere Tätigkeit, und ich erhalte mehr Anfragen für Interviews von wichtigen Zeitungen und TV-Sendern, als ich beantworten kann.

Soll das die Antwort eines Gelehrten sein? Das Problem ist, daß Introvigne mich angriff und ich erwiderte; das hat wirklich sehr wenig mit "Angriffen" der "Antisektenbewegung" zu tun. Es stimmt ja, daß Introvigne ins TV eingeladen wird, doch ich habe nie gehört, daß ihn jemand einlud, weil er kontrovers war wie der arme Satanist Marco Dimitri. Introvigne wird eingeladen, weil er unzweifelhaft ein Flair besitzt, als unangefochtene Autorität herüberzukommen.

Interessanterweise, und aufgrund der Kontroversen, war ich letzten Samstag eingeladen, vor dem Postgraduiertenkurs in Psychiatrie am Institut für Psychiatrie der Turiner Universität einen Vortrag über Gehirnwäsche zu halten -- ich führe das nicht als besondere Leistung an, ich danke nur den Debattierenden für diese Art von Ergebnis. Der Verkauf meiner Bücher und der CESNUR-Publikationen im allgemeinen nimmt auch zu; nicht zu erwähnen die kostenlose Publicity, die Sie mir in Ihrer Website geben.

Ich frage mich, ob Introvigne im Ernst sagt, mein alt.religion.scientology-Thema habe die Universität Turin bewogen, ihm einen Schutzraum zu geben. Und ich nenne mich selbst nur einen Dolmetscher! Oder hat die Universität nach einem unangefochtenen Experten für Plinio Corrêa de Oliveiras Denken gesucht?

Im Ernst: Man muß sich fragen, auf welcher Grundlage sich ein Patentanwalt autorisiert fühlen kann, so delikate Themen wie "Gehirnwäsche" in professioneller Umgebung zu besprechen. Oder ist er jetzt neben einem "Soziologen" auch noch zu einem "Psychologen" geworden?

Als ich noch in der Neuen Akropolis war, habe ich auch immer ein Thema wie "Psychologie" gelehrt. Vielleicht sind Introvigne und ich ja Kollegen.

Dr. Miguel Martinez, 14. Juli 1998 




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